Was für ein Start! In der Chilenischen Küstenstadt Arica gestartet, stehe ich schon nach wenigen Stunden Velofahrens am Fusse einer unglaublichen Steigung. Innerhalb von 150km geht es von 0 auf 4600m. Aus der Atacama-Wüste rauf auf's Altiplano. Genau nach meinem Gusto. Ich freue mich wie ein kleines Kind, dass es endlich los geht und sprinte gleich los. Doch ich werde nur allzu schnell wieder auf den Boden geholt. Die unglaubliche Hitze und Trockenheit machen mir mehr zu schaffen als befürchtet, der Wasserverbrauch steigt exponential. Prompt stehe ich bereits am ersten Tag auf der Strecke ohne Wasser da. Ein Lastwagenfahrer hilft mir aus. Doch zu früh gefreut. Die ganze folgende Nacht muss ich erbrechen. Mit gerade noch einem halben Liter Wasser (jetzt aber behandelt) und völlig ausgepumptem Körper erreiche ich am zweiten Tag ein kleines Restaurant und werde dort regelrecht wieder aufgepäppelt. Fehlstart total!
Am dritten Tag habe ich die Passhöhe erreicht. Vergessen sind die Anfangsprobleme. Im Lauca-Park bewundere ich bereits die ersten Vicuñas, Vizcachas und Lamas. In den Salzseen entdecke ich Flamingos. Auf den Meter genau an der Grenze zu Bolivien endet die schöne Teerstrasse. Es folgt ein wildes Geholper. Schon kurz nach der Grenze bin ich nicht ganz sicher welche Strasse ich nehmen soll. Der gefragte Beamte überlegt und rät mir dann zur Linken. Als ich nach 3 Stunden immer noch kein Auto gesehen habe, werde ich stutzig. Vom Dorf, das nach 50km auflauchen sollte, ist auch nach 70km noch weit und breit nichts in Sicht. Endlich treffe ich wieder auf einige Bauarbeiter, die ich fragen kann. Jetzt ist alles klar. Ich befinde mich auf einer neuen Strasse, die sich noch im Bau befindet und noch nicht für den Verkehr offen ist. Da ich nun nicht durch die erwarteten Orte, sondern quer durchs Niemandsland fahre wird meine Wasserversorqung mal wieder auf die Probe gestellt... Den Vorteil, dass ich die Strasse fast während 150km für mich alleine habe, bezahle ich mit einem oft superschlechten Wellblech-Belag. Ungemütlich wird es erst, als ich vor einem 30m breiten Fluss stehe. Von der Brücke stehen erst die Pfeiler! Wie ich denn da rüber komme frage ich die Arbeiter auf der anderen Seite. Sie deuten Flussabwärts. Es folgt eine stündige Schiebe-Passage im weichen Sand, ehe ich auf die alte Strasse mit Brücke treffe.
Der erste Blick in den Kessel von La Paz ist gewaltig: Ein riesiges Loch voll mit Häusern. Einige Tage bleibe ich dort und bin fasziniert vom Nebeneinander von traditionellen Indios und modernen Städtern. An einem Tag fahre ich zum Refugio Chaloltaya, das auf 5200 m liegt. Eine Touristengruppe bereitet mir oben einen Empfang, wie einem Tour de France Fahrer auf der Alp d'Huez.
Al sur...! Hatte ich diese Reise getauft. Doch bis jetzt bin ich noch nie Richtung Süden gefahren, im Gegenteil. Kein Wunder also, treibt es mich weiter. Ushuaia scheint unendlich weit weg. Doch wenigstens stimmt ab jetzt die Richtung. Nach etwa 2 Tagen habe ich die schön geteerten Strassen rund um La Paz verlassen. Die staubigen Wellblech-Pisten haben mich wieder. Ein mich überholender Lastwagen hinterlässt jeweils eine dicke Staubwolke in der ich oft fast zu ersticken drohe. Doch das ist das Bolivien, dass ich gesucht habe. Eine kleine holprige Piste windet sich durch die in allen Farben schimmernden Berge. Farbig deshalb, weil die Erde hier voll ist von Mineralien und Erzen, die auch oft in Minen abgebaut werden. Am Wegrand liegen kleine hübsche Dörfer mit freundlichen Bewohnern. Neugierig kommen immer viele an die Strasse fragen mir Löcher in den Bauch und bestaunen das Velo. Dazwischen hat es immer wieder Hochebenen mit grossen Lama-Herden.
Der Bolivien-Höhepunkt folgt aber zum Schluss: Über den Salar de Uyuni (grösster Salzsee der Welt) soll ein Piste zur Grenze nach Chile führen. Nachdem ich eine genaue Karte und einen Kompass aufgetrieben habe Geht es los. Den Beginn der Piste finde ich problemlos. Doch die Spuren auf dem Salz führen bald in alle Richtungen und verlieren sich dann wieder. Trotz langem Suchen finde ich die Piste nicht. Geht auch so! Auf dem harten Salz kann man im Prinzip fahren, wo man will. Doch 90km sind weit. Wie genau kann ich da die Richtung beibehalten? Als ich den Kompass eingestellt habe geht's los. Es ist ein Absolut einmaliges Erlebnis. Ich komme mir vor wie eine Ameise auf einem gigantischen Spiegel. So weit das Auge reicht, ist alles topfeben und schneeweiss. Leider bleibt das mit dem topfeben nicht so, muss ich doch in der Mitte des Sees während mehreren Kilometern das Rad über grosse SalzSchollen schieben, die immer wieder brechen. Es ist gar nicht so einfach, während einer so langen Zeit immer nur ganz genau gerade aus zu fahren. Am Horizont gibt es kaum etwas zum Orientieren. Nach 80Km treffe ich genau im rechten Winkel auf eine deutliche Fahrzeugspur. Was nun? Soll ich dieser folgen oder weiter auf meinem Kurs bleiben? Ich entscheide mich für die Spur. Etwa eine Stunde später erreiche ich das Ufer und die Spur geht in eine Piste über. Mit den Gedanken, den See gut überquert zu haben schlafe ich an diesem Abend am Ufer ein. Am nächsten Morgen treffe ich schon bald auf ein Dorf. Als ich das grosse Ortsschild lesen kann stutze ich. Ein Blick auf die Karte bestätigt den Verdacht: Ich bin völlig vom Weg abgekommen, etwa 50km südöstlicher als geplant an der Eisenbahnlinie! Doch halb so schlimm. Der Eisenbahnlinie folgend erreiche ich schliesslich auch noch den Grenzübergang nach Chile.
Die Gegend hat sich mittlerweile in eine regelrechte Mondlandschaft gewandelt. Rundherum gibt es viele Vulkan-Kegel, dazwischen Sand nichts als Sand. Leider ist auch die Piste voll davon. Dem Velo gefällt das gar nicht. Es lässt sich nur noch schiebend fortbewegen. Einzige Farbtupfer in dieser öden, wüstenartigen Landschaft, sind die vielen Salzseen mit ihren Flamingos. In San Pedro de Atacama, eine Art Oase, mache ich wieder einmal eine längere Pause. Ich mache Ausflüge ins Valle de la luna und zu nahen Geysiren. Dann bereite ich mich auch für die nächste Etappe vor: Über den Paso Sico will ich nach Argentinien. Für etwa 7 Tage packe ich Esswaren ein. Dann sollte ich in Salta sein. Dieser Pass hat es in sich. Es geht nicht einfach einmal rauf und einmal runter, sondern gleich ein halbes Dutzend mal. Die Landschaft ist schlicht genial. Wieder diese farbigen Berge, gespickt mit Schneefeldern, Salzseen, zwischendurch Lama-Herden und Flamingos. Wegen der grossen Höhe wird es Nachts immer empfindlich kalt. Einmal vergesse ich meine vollen Flaschen vor dem Zelt und habe am nächsten Morgen prompt eine explodierte Sigg-Flasche. Mitten drin im Auf und Ab beginnt plötzlich der Freilauf zu spinnen. Ein blödes Gefühl wenn sich das Hinterrad nicht bewegt, wenn man in die Pedale tritt Mit viel Bastelei schaffe ich auch die letze heutige Steigung. Runter geht es auch ohne! Am Abend putze ich das Teil mit Benzin so gut, dass ich die nächsten Tage wieder fahren kann. Von mir aus könnte die Strecke noch ewig weiter so auf und ab gehen. Doch irgend einmal geht es dann doch definitiv runter. Zwischen dem Einreisestempel von Argentinien und dem Ausreisestempel von Chile fehlen 4 Tage. Wo gibt's schon so was?
In Salta geniesse ich wieder einmal die Vorzüge einer Stadt: Gutes Esse, Kino. Auch das Velo hat ein paar Reparaturen notwendig. Die nächsten Wochen fahre ich parallel den Anden entlang auf der Ruta 40 Richtung Süden. Zum ersten Mal seit dem Start bin ich unterhalb 1000m. Die Gegend ist sehr heiss und trocken. Viele riesige Kakteen säumen immer wieder den Weg. Auf der Suche nach dem nächsten Pass zurück nach Chile, entscheide ich mich für den Aquo Negra. Doch dort werde ich von der Polizei aufgehalten: Alles noch tief verschneit! Also fahre ich halt noch bis Mendoza runter, ehe ich dort auf die chilenische Seite wechseln kann. Die Zeit in der Hauptstadt Santiago verwende ich vor allem, um eine neue Hinterrad-Nabe zu suchen, nachdem diese nun definitiv ihren Geist aufgegeben hat. Ich finde schlussendlich nur eine 32-Loch Nabe. Schon mal probiert eine 36-Loch Felge mit einer 32-Loch Nabe zu zentrieren?
Ich befinde mich nun im fruchtbarsten Teil Chiles. Hier wird am meisten Landwirtschaft betrieben, hier leben mit Abstand am meisten Leute, hier hat es folglich auch am meisten Verkehr. Zum ersten Mal überhaupt auf dieser Reise ist die Landschaft wirklich grün. Nach 2 Monaten Sand, Staub und Felsen geniesse ich das wirklich. Der erste Wald wird zu einem richtigen Ereignis. Die folgenden Wochen im Chilenisch- Argentinischen Seengebiet sind so richtig erholsam. Die Gegend erinnert stark an die Schweiz: Vierwaldstädtersee im Grossformat. Es hat viele Campingplätze, oft kleine Dörfer, wo man alles bekommt und zu Guter Letzt habe ich einmal mehr unglaubliches Wetterglück.
Puerto Montt, das Ende der eigentlichen Panamericana und Gleichzeitig der Beginn der Carretera Austral. Ich fülle wieder alle Vorräte auf, ehe es über Chiloe weiter geht. Eine eigenartige Gegend. Ein dichter Urwald im ewigen Nieselregen, dazwischen oft Gletscher, die bis fast an die Strasse runter kommen. 360 Tage im Jahr soll es hier regnen, was ich bestätigen kann. Es ist die einzige Regenperiode auf dieser Reise. Als ich beim Lago Argentino wieder einmal auf die argentinische Seite wechsle ändert sich die Szenerie schlagartig. Aus regnerischem Wald wird trockene Pampa. Es hat nur noch einzelne Grasbüschel und selten grössere Gewächse.
Schon vor der Reise hatte ich vieles über die Ruta 40 gehört. Wie wird es wirklich sein? Positiv überrascht bin ich vom Strassenzustand. Der ist den Verhältnissen entsprechend recht gut. Die Dimension der Gegend wird mir bei der Aussicht vom ersten Hügel klar: Nichts, einfach nichts als Pampa, scheinbar unendlich. Doch in Wirklichkeit sind es blos etwa 30km die ich sehe. Satte 700km sind es aber bis nach Chalten, dem nächsten Dorf! Alles halb so wild. Das eigentliche Problem ist der Wind. Gleich am ersten Tag werde ich voll erwischt. In einer Stärke, die ich bisher nicht gekannt habe. Der Wind wird ab jetzt zum alles prägenden Faktor. Am Morgen stehe ich oft schon um 5.00 Uhr auf und fahre vor Sonnenaufgang los, da dann, wenn überhaupt, der Wind noch schwächer ist. Kaum bin ich wach, ist immer die erste Reaktion, zu hören, wie stark draussen der Wind bläst. Ist er einmal nicht so stark, breche ich das Zelt fast panikartig zusammen und rase sofort los. Pausen getraue ich mich kaum zu machen. Im Gegenteil, ich rase wie ein Wilder dahin, bis ich am Abend völlig erschöpft mein Zelt aufstelle. Es ist wie eine ständige Bedrohung, die im Nacken sitzt: Jetzt, jetzt kommt dann der Wind! Nicht ganz unbegründet: Die Tage, an denen der Wind Vollgas bläst, sind zwar in der Minderheit, bleiben dafür aber für immer in Erinnerung. Es gibt solche, da 'fighte' ich regelrecht von Morgens bis Abends gegen den Wind an. Trotzdem bin ich nach 10 Std. nur gerade 30km weiter! Mehrere Male werde ich regelrecht in den Strassengraben gefegt. Und dann gibt es Situationen, bei denen ich das Velo sogar im Schieben einfach nicht mehr vorwärts bringe...! Der Zeltaufbau wird jeden Abend zur Herausforderung. Die Landschaft bringt kaum Abwechslung. Es ist die totale Einöde, eben Pampa. Auf der Piste hat es so gut wie keinen Verkehr. Der Durchschnitt pendelt sich bei 1-2 Autos pro Tag ein. Ortsbezeichnungen, die sogar auf einer Weltkarte eingezeichnet sind (1:5 Mio) entpuppen sich als einzelne Häuser, meist verlassene.
Wieso denn? Wieso denn trotzdem die Strecke mit dem Velo, werde ich oft gefragt. Trotz der Unannehmlichkeiten ist die Strecke ein tolles Erlebnis. Die Auseinandersetzung mit der Dimension der Distanz, der Einsamkeit, die Verarbeitung des vor allem psychologischen Faktors Gegenwind usw. Daneben gab es auch viele schöne Erlebnisse. Nandus (Patagonischer Strauss), Gürteltiere, Vincuñas, Füchse und vor allem Hasen kann ich fast täglich beobachten. Dann plötzlich etwas neues am Horizont: Das Fitz Roy-Massiv. Nach einer Woche in der Pampa wirken die spitzen Granitpfeiler noch imposanter. Ich geniesse die Abwechslung und unternehme einige Wanderungen im Park. Belohnt werde ich mit 4 Tagen strahlend schönem Wetter, wahrlich nicht alltäglich hier. Die Landschaftlichen Höhepunkte folgen sich nun in kürzeren Abständen. Der imposante Perito Moreno-Gletscher und der Torre del Paine Park gehören dazu.
Genau am 24. Dezember treffe ich in Punta Arena ein. Hier erwarte ich seit langem mal wieder Post. Sofort gehe ich zur Hauptpost und frage danach. Der Poste Restante-Schalter hat aber schon geschlossen. Ich jammere dem Beamten vor, dass ich in 2 Tagen, wenn die Post wieder öffnet, nicht mehr hier sein kann und sie mir diese doch bitte jetzt geben sollen. Schliesslich sei ich ja praktisch durch halb Südamerika geradelt um sie hier abzuholen... Das scheint ihn zu überzeugen. Es folgt eine Kletterpartie ins abgeschlossene Büro des abwesenden Chefs, ehe man den Schlüssel für den Schrank findet, wo die Briefe sind. Ich strahle wie ein Maikäfer, als ich schliesslich die Post mit etwa 20 Briefen und einem Packet wieder verlasse. Weihnachten ist gerettet.
Mit der Fähre fahre ich über die Magellan-Strasse nach Feuerland. Unterwegs hatte ich mir immer wieder überlegt, was ich denn tun würde, bei der Ankunft in Ushuaia. Die wildesten Ideen schwirrten mir durch den Kopf. Doch dann bin ich einfach da, einfach so. Nichts aussergewöhnliches passiert. Ushuaia, ein kleiner unbedeutender Ort am Ende der Welt und doch so voller Bedeutung für mich.