Eigentlich war ich ja schon zweimal in Kirgistan. Aber irgendwie habe ich das Gefühl doch noch nicht so richtig. Das erste Mal war ich auf der Durchreise von Tadjikistan her kommend und wollte so schnell wie möglich weiter nach Tibet. Desshalb fuhr ich nur bis Osh. Das zweite mal war Kirgistan der Start einer langen Asien Reise und April noch zu früh um in die grossen Berge zu gehen.
Diesmal aber sollte alles passen: 1 Monat Zeit nur für Kirgistan im Hochsommer. Bei meiner Routenplanung habe ich mich vom Silk Road Mountain Race inspirieren lassen (www.silkroadmountainrace.cc). Von diesem habe ich zwar erst 10 Tage vor der Reise erfahren, aber interessanterweise deckte sich bereits einiges mit meinen Plänen.
Nachdem es diesen Sommer in Europa so heiss war, freue ich mich auf kühlere Temperaturen in den Bergen von Kirgistan. Doch in Bishkek ist es ebenfalls 37 Grad Celsius als ich aus dem Flugzeug steige. Nichts wie los also in die Berge. Durch das Kegety Tal will ich über den gleichnamigen Pass nach Süden kommen. Au ja, hier geht es wirklich hoch, von 800m gleich rauf auf 3800m. Als ich den Pass überquere schneit es oben sogar. Die anfängliche Hitze ist vergessen. Auf der Südseite des Passes ist die Fahrbahn schon lange völlig verschüttet. Mehrere hundert Höhenmeter schiebe ich das Velo den steilen Geröllhang runter. Unten im Tal dann Idylle pur: weite grüne Wiesen, mit einzelnen Jurten drauf und tollen Schneebergen im Hintergrund. Während ich die nächsten 2 Tage nach Westen fahre, sehe ich nicht ein einziges Fahrzeug auf der Strasse. Dafür fahre ich ständig an grandiosen Gletscherbergen entlang. Schöner hätte der Start gar nicht sein können.
Zum Son Kul (Kirgistans bekanntester Bergsee) hoch gibt es mindestens 6 verschiedene Wege. Der den ich gewählt habe, würde ich aber nicht wirklich weiter empfehlen. Auf halber Höhe ist nämlich eine Kohle Mine. Abends sehe ich auf jeden Fall so aus, als würde ich da arbeiten. Auf den weiten grünen Wiesen um den See haben nun viele ihre Jurten aufgestellt und verbringen hier mit ihren Tieren den Sommer.
In Naryn heisst es mal wieder die Taschen auffüllen. Weil fast alle Kirgisen Selbstversorger sind, ist die Auswahl in den Läden der kleinen Orte extrem beschränkt (Wodka und Süssigkeiten) und so muss ich meine Vorräte in den wenigen grösseren Städten aufstocken. Im Büro der CBT kann ich auch mein Permit abholen, welches ich vorgängig organisiert habe.
Nur damit darf ich weiter nach Süden in die Nähe der Grenze zu China fahren. Die Fahrt zun Torugart Pass hoch ist noch nicht sonderlich interessant. Es ist eine 100km endlos lange, kaum wahrnehmbare Steigung durch eine karge, einsame Landschaft. Wenige km vor dem Chinesischen Zoll verlasse ich dann aber diese Transit Route und fahre statt dessen nun nach Osten der Grenze entlang. Ein tolles, wildes, vollkommen verlassenes Hochtal.
Hier in den Bergen hat es einen Bergsee, den Kel Suu, zu welchem ich hoch will. Die letzte Etappe zum See ist traumhaft. Es geht nun auf und ab durch enge, grüne Täler und voraus gibt es immer wieder grossartige Blicke auf die vergletscherten Berge. Der See selber ist zwar im Moment gerade ausgetrocknet, liegt aber spektakulär zwischen imposanten Felswänden.
Für den Rückweg zum Haupttal habe ich mir eine andere Route ausgesucht. 'Old 4x4 Track, not in use anymore' steht auf meiner Karte. Tönt ja vielversprechend. Als ich den Pfad erstmals oben am steilen Hang sehe, klappt mir wirklich der Kiefer runter. Was, da hoch soll ich, geht das überhaupt? Es folgt eine der extremsten Schiebepassagen die ich mit dem Velo schon gemacht habe. 300 Höhenmeter zerre und wuchte ich das Velo einen unmöglich steilen Weg hoch. Mehr als 10 Meter am Stück liegen jeweils nicht drinn, ehe ich mich wieder erholen muss. Doch irgendwie komme ich dann doch oben an. Noch ein paar Km weiter muss ich schieben, doch dann treffe ich auf eine Pferdespur, welche sich wunderbar fahren lässt. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht fahre ich auf diesem Singletrail über die Hügelketten zurück zum Haupttal. Zurück in Naryn tanke ich wieder Vorräte und starte zur nächsten Etappe.
Ich starte nach Nordosten, Richtung Tosor Pass. Wie meistens hier in Kirgistan, sind die ersten km, da wo es noch Dörfer und entsprechend etwas Verkehr hat, die Schlechtesten. Hier ist die Piste oft stark ausgefahren, was meist übles Wellblech bedeutet. Sobald man dann aber in die Berge kommt, ist es ruhig und ich kann die Fahrzeuge pro Tag an einer Hand abzählen. In diesem Tal ist es nicht anders. Es ist wieder einmal eine sehr abwechslungsreiche Fahrt. Zuerst geht es durch ein alpines Tal mit grünen Wiesen, Wäldern und einem schönen Canyon. Nachdem ich die Baumgrenze überschritten habe, werden es es weite, grüne Hochtäler und immer öfter tauchen nun Gletscherberge im Hintergrund auf.
Ich zelte wie meistens an einem schönen Bergbach und als ich am nächsten Tag aufstehe denke ich mir noch, dass nach meiner Hochrechnung nun etwa die Spitze des Silk Road Rennens mich passieren müsste. Beim Zusammenpacken des Zeltes sehe ich tatsächlich einen Radler vorbeifahren. Eine halbe Stunde später habe ich ihn dann eingeholt. Es ist niemand geringerer als Jay Petervary. Eine Legende in diesen ultralangen bikepacking Rennen, der alle grossen Events wie das Iditarod, die Tour Divide etc. schon mehrfach gewonnen hat und der aktuellen Leader (und spätere Gewinner) dieses Rennens ist. Wir fahren den ganzen Tag zusammen durch dieses wunderbar wilde Tal nachdem wir kurz vor dem Tosor Pass diese Route verlassen. Ich komme mir fast ein wenig wie auf einer Wellness Tour vor, wenn ich höre was er leistet: Er schläft ca. 4h pro Tag, die restliche Zeit ist er unterwegs, nonstop, 9 Tage lang. Wahnsinn und absolut unvorstellbar.
Am Ende des Tales geht es auf einen 3800m hohen Pass. Die Aussicht ist schlicht gigantisch: rund um mich herum Gletscher bedeckte Berge. Der kurze Abstecher auf einen gut 4000m hohen Pass, der gleich neben meiner Route liegt muss natürlich sein am nächsten Tag. Danach habe ich etwas Mühe die Route zu finden. Ich fahre den halben Morgen die Strasse auf und runter um die richtige Abzweigung auf den Trail zu finden. Ich will schon fast aufgeben, da taucht der zweitplatzierte des Rennens auf und zusammen nehmen wir diesen Abschnitt in Angriff. Kein Wunder konnte ich den Trail nicht finden, es gibt schlicht keinen. Die nächsten 4 Stunden schleppen wir unser Bike duch wegloses Sumpfgebiet, über holprige Wiesen und queren zahlreiche Flüsse. Dann erreichen wir einen schönen Bergsee und ihm entlang hat es nun einen tollen Singletrail. An dessen Ende erreichen wir die Passhöhe. So und jetzt nur noch runter... Als ich aber den 'Weg' sehe, schlucke ich schon zweimal. Mehrere hunder Höhenmeter geht es nun über lose Felsbrocken steil runter ins Tal. Der Weg ist schon zu Fuss gefährlich, weil alles in Bewegung ist. Mit dem Bike muss ich höllisch aufpassen, dass ich mir nicht den Fuss vertrete, oder das Bike beschädigt wird. Natürlich frage ich mich auch ein paar mal was ich hier eigentlich mache. Doch bereits eine Stunde später sind diese Gedanken verflogen. Das Tal durch welche ich nun runter fahre ist einfachen grandios. Es beginnt mit einem türkisgrün leuchtenden Bergsee, dann tauchen alpine Wiesen und schöne Wälder auf, alles garniert mit immer neuen Gletscher bedeckten Bergen die im Hintergrund auftauchen - einfach grossartig.
Am Ende der Abfahrt erreiche ich dann die Hauptstrasse am Issyk Kul See. Ich fahre nach Westen Richtung Karakol weiter und will hier in den Bergen südlich der Stadt ein paar Abstecher machen. Das klappt am ersten Tag noch recht gut, doch dann muss ich einsehen dass diese Route dann doch zu steil für mein Bike ist. Statt dessen geht es am nächsten Tag ausnahmsweise völlig flach am See entlang. Das mag entspannt klingen, doch ich sehne mich schon bald wieder nach den holprigen Wegen in den Bergen. Denn obwohl es hier Asphalt hat, fahre ich freiwillig auf der Schulter neben der Strasse. Die meisten Fahrzeuglenker in Kirgistan sind sich Radfahrer nicht gewohnt auf der Strasse und erwarten dass man Platz macht und diese verlässt.
Es geht auch nicht lang bis ich diese Strasse wieder verlasse. Es geht rauf zum Tosor Pass, eine 2250m lange Steigung auf die ich mich schon lange freue. Doch als ich am Morgen starte ahne ich schon Böses: oben in den Bergen sind schwarze Wolken aufgezogen. Das könnte ungemütlich werden. Dessen vorerst ungeachtet kurble ich mich langsam aber stetig die vielen Spitzkehren in die Höhe. Auf 3000m beginnt es erstmals leicht zu regnen, was dann aber schnell in Schneefall übergeht. Schliesslich wird der Sturm so stark, dass ich beschliesse das Zelt aufzustellen obwohl es erst Mittag ist. Nach einer guten Stunde scheint der Spuk vorbei und die Sonne scheint bereits wieder. Ich packe meine Sachen wieder zusammen und fahre weiter. Es dauert nicht lange und ich erreiche die Schneegrenze. Ab 3500m liegt Schnee auf der Strasse. Bis 3700m kann ich aber noch fahren, dann aber ist Schluss. Die restlichen 200m stapfe ich durch 15cm tiefen Neuschnee bis ich die Passhöhe erreicht habe. Die Aussicht auf all die frisch verschneiten Berge ist gigantisch. Die folgenden Tage fahre ich durch wunderschöne, einsame Täler Richtung Westen, ehe ich dann bei Kochkor wieder in eine Stadt runter komme.
Unweit von Kochkor, oben in den Bergen gibt es einen Bergsee, den Kyol Ukyok. Dorthin will ich als nächstes. Der Weg dorthin ist kurz aber eine tolle Mountainbike Strecke. Oben stelle ich am Ufer mein Zelt auf und geniesse die tolle Umgebung. Am nächsten Tag gehe ich zu Fuss weiter das Tal hoch. Auf 3500m hat es noch einen zweiten See umringt von schönen Gipfeln und Gletscher. Am Abend studiere ich die Karte. So langsam geht die Reise zu Ende und ich suche nach einer interessanten Route zurück nach Bishkek.
Am folgenden Tag fahre ich auf den Kyzart Pass hoch und verlasse auf der Passhöhe die staubige Strasse. Hier habe ich auf meiner Karte einen Pfad nach Norden gefunden, den ich fahren will. Es beginnt mit einer fahrbaren 4x4 Piste, die dann aber bei der letzten Jurte endet. Ob es hier weiter geht und ich über die Berge komme frage ich mit Handzeichen. Ich interpretiere die Antwort als 'ja da kommt man rüber'. Etwas weiter stelle ich mein Zelt auf und starte dann am nächsten Morgen. Ich schiebe das Velo auf einem Pferdepfad das einsame Tal hoch. Weiter oben verlieren sich dann die Spuren, es geht weiter quer über die Alpwiesen. Nach 600Hm wird das Terrain deutlich steiler. Soll ich nun links hoch zu einem Pass oder rechts? Ich entscheide mich für rechts. Nach meinem GPS sollte es von da danach besser runter gehen. Den steilen, langen Hang komme ich nicht mehr hoch und muss Gepäck und Velo einzeln hochbringen. Oben dann der bange Blick auf die andere Seite. Ja doch, hier sollte ich irgendwie runter kommen. Zuerst geht es aber einen steilen Geröllhang runter bis ich schliesslich weiter unten wieder über Wiesen ins Tal runter fahren kann. Eine hüfttiefe Furt gilt es noch zu überwinden und ich habe wieder eine Strasse erreicht.
Mangels besserer Aternativen habe ich mich entschieden wieder über den Kegety Pass zurück nach Bishkek zu fahren. Was hatte ich zu Beginn der Reise geschrieben: diesen Pass würde ich nicht von Süden her fahren. Es ist aber halb so schlimm im Gegenteil und so schiebe ich mein Velo wieder den langen, steilen Geröllhang hoch. Ein würdiges Finale dieser Pass, am nächsten Tag gilt es nur noch 3000 Höhenmeter runter nach Bishkek zu fahren.