Als ich wieder zurück in Indien bin, fahre ich erst zwei Tage durch die absolut topfebene und heisse Assam Ebene vorbei an vielen Tee-Plantagen. Doch das soll nicht lang so gehen. Mein nächstes Ziel ist Arunachal Pradesh, die nordöstlichste Provinz Indiens. Um hier reisen zu dürfen brauche ich ein Permit und weil man mindestens zu zweit unterwegs sein muss, kaufe ich halt einfach zwei Permits. Doch es kommt noch besser. Marcel, der mir seine Identität ‚geliehen‘ hat für meinen virtuellen Partner, hat plötzlich Zeit und Lust mich zu begleiten. Wir treffen uns an der Grenze zur Provinz und ich freue mich wieder einmal Begleitung zu haben. 

Nach der Grenze geht es gleich in einen dichten Dschungel, durch den wir in vielen Kurven in die Höhe klettern. Nach Tawang, wo wir als erstes hin wollen, wären es ja vom Osten Bhutans blos 20km entlang eines Flusses gewesen. Wenn es denn eine Strasse und einen offenen Grenzübergang gäbe. So fahre ich halt in einem weiten Bogen und über mehrere Gebirgsketten um dahin zu kommen. Der weite ‚Umweg‘ ist aber jeden Kilometer wert.

Nach einigeren kleineren Pässen, geht es dann als Höhepunkt über den 4176m hohen Se La. Kurz nachdem wir den Pass überquert haben beginnt es zu schneien. Wir stehen erst etwas unter und warten bis das Schlimmste vorbei ist. Doch weiter unten scheint es noch viel stärker geschneit zu haben und wir fahren bald durch 10cm tiefen Schneematsch den Pass hinunter. Das Tawang Tal begrüsst uns am nächsten Morgen in all seiner Herrlichkeit. Ein weites, offenes Tal welches unglaublich grün ist, rundherum umgeben von jetzt frisch verschneiten Bergen. 

In Tawang geniessen wir ein paar Pausentage und besuchen die Tawang Gompa, das zweitgrösste buddhistische Kloster der Welt. Der Dalai Lama ist übrigens bei seiner Flucht aus Tibet hier durchgekommen. Marcel muss wieder zurück nach Delhi und so fahre ich alleine weiter nach Osten. Die Strasse von Seppa nach Sagalee ist weder auf meiner Karte noch auf dem GPS und so habe ich keine Ahnung wie lange sie ist. Ich schätze mal dass es etwa 75km sind für die 45km Luftlinie, welche ich in einem Tag machen kann. Eine kleine, enge Strasse windet sich in endlosen Kurven durch einen unglaublich dichten Dschungel, machmal glaube ich, dass der Wald die Strasse geschluckt und überwachsen hat.

Der alte Strassenbelag ist schon längst kaum noch sichtbar und so ist es oft holprig und schlammig, allerdings nie allzu schlimm. Was für eine Strasse, ein einziges Abenteuer vom ersten bis zum letzten Kilometer! Nach 2 anstrengenden Tagen erreiche ich Sagalee. Auf meinem Tacho stehen 150km.

Abends und Nachts regnet es nun öfters, was mich nicht weiter stört. Doch dann setzen sich die Wolken fest und es regnet 3 Tage lang ununterbrochen. Die Strassen waren auch so schon oft holprig. Doch jetzt mit dem Regen sind sie immer öfters verschlammt und ich fahre durch zahllose tiefe Pfützen. Immer wieder schieben ich das Velo durch knöcheltiefen Schlamm. Manchmal brauche ich fast ebenso lange um den Antrieb jeweils wieder zu putzen um überhaupt noch fahren zu können, wie für das Fahren selbst.

Die Hügel werden gegen Osten langsam etwas weniger hoch, aber dafür sind es umso mehr. Es ist eine Klasse Fahrt, tagelang durch diese weiten, dichten Wälder. Die Orte sind alle sehr klein mit einigen Reisfeldern und grossen, imposanten Bambus Langhütten in denen die Leute wohnen.

So abgelegen die Gegend ist, lustigerweise finde ich jeden Abend in einem dieser kleinen Dörfer ein Gouvernement Resthouse wo ich ein Zimmer für die Nacht kriege. Zelten wäre auch gar nicht einfach in diesem Dickicht von Wald.

In Arunachal Pradesh leben unglaublich viele verschiedene Völker. Über 50 Dialekte werden in der Region gesprochen. Einige der interessantesten leben im Tal von Ziro. Weil früher verfeindete Stämme öfters Apatani Frauen gekidnappt hatten, hatten diese begonnen deren Gesichter zum Schutz mit Tattoos und auffallenden Nasen-Stöpseln zu ‚verunstalten‘. Noch heute habe ältere Frauen diesen 'Gesichts-Schmuck‘.

Frühe Missionare waren sehr aktiv hier in der Gegend. Viele Leute sind Christen in Arunachal Pradesh und immer wieder taucht eine Kirche mitten im Dschungel auf. Oder der alte Mann, der mir hilft das Velo durch den Schlamm zu schieben. Als wir es erschöpft endlich geschafft haben, verstehe ich nur ein Wort, das er immer wiederholt: Halleluja.

Bei Pasighat spuckt mich die Strasse schliesslich raus aus diesen tiefen Wäldern und ich bin wieder unten in der heissen Ebene. Der Brahmaputra, welcher beim Mt. Kailash in West-Tibet entspringt und dann auf der Suche nach einem Weg in den Süden bis hierher nördlich dem Himalaya entlang fliest, kommt hier nun runter aus den Bergen auf dem Weg in den Indischen Ozean.

Dessen Überquerung ist aber komplizierter als ich angenommen hatte. Als ich am Mittag an dessen Ufer ankomme, gibt man mir zu verstehen, dass ich die einzige Fähre von heute gerade eben verpasst habe und so verbringe ich mal wieder einen abwechslungsreichen Abend auf dem nahen Polizeiposten. Am nächsten Morgen will der inzwischen eingetroffene Kapitän nicht fahren, weil es zuwenig Wasser habe. So fahre ich denn halt noch einmal 60km weiter bis ich schliesslich eine Fähre finde die mich rüber bringt.

Der Beginn des Monsun rückt näher und mein Indien Visum geht zu Ende. Da es auch keine offenen Grenzen in dieser Ecke gibt, ist das Kapitel ‚Indischer Subkontinent‘ dieser Reise somit abgeschlossen und ich bereite mich für mein nächstes Ziel vor…