In Mumbai lande ich und setzte hier meine Fahrt fort. Ich suche mir gleich beim Flughafen in der Nähe eine Unterkunft um nicht in die Stadt runter fahren zu müssen. Dort gehe ich dann am nächsten Tag mit einem der Vorort Pendelzüge hin. Meine Güte, so was habe ich ja noch nie erlebt. Unmögliche Massen von Menschen stürmen auf die Züge los und ohne Einsatz von Ellenbogen hat man schlicht keine Chance jemals in die Wagen zu kommen. Als ich es beim zweiten Anlauf dann schaffe und schon fast etwas stolz bin, werde ich beim nächsten Stopp aber gleich wieder raus spediert: Ich bin in einem Wagen nur für Frauen gelandet… Welcome to India! 

Als ich zur Fahrt aus Mumbai starte, mache ich auf nichts weniger als den blanken Horror gefasst. Ich werde nicht enttäuscht. Als ich nach 40km aus dem Gröbsten draussen bin, bin ich fix und fertig von Lärm, Gestank und Gefahr.

Meine grösste Angst vor Indien war immer, ob es möglich ist, auf genug kleinen Strassen zu reisen um dem chaotischen Verkehr zu entkommen. Obwohl ich auf früheren Reisen in Indien vor allem im Norden (Kaschmir, Ladakh, Zanskar) unterwegs war, habe ich bereits so meine Erfahrungen mit dem Verkehr gemacht. So plane ich denn meine ersten Tage nicht unbedingt entlang von Sehenswürdigkeiten, sondern versuche auf möglichst kleinen Strassen Richtung Norden zu kommen. Das gelingt dann erstaunlicherweise so gut, dass ich bereits am ersten Tag durch ein so abgelegenes Tal fahre, dass ich schliesslich sogar zelte, obwohl ich dachte, dass ich das hier wohl kaum mehr machen werde.

Etwas worauf ich mich ganz besonders gefreut habe, ist das Essen hier in Indien und ich werde nicht enttäuscht. Sei es bei einem einfachen Essstand entlang der Strasse oder in einem Restaurant, es ist einfach himmlisch. Oft habe ich keine Ahnung wie die Gerichte heissen, oder was ich genau esse, ich bestelle oft einfach was der Nachbar gerade isst. Diese Vielfalt an Gewürzen und Zutaten, das hatte ich in Afrika schon vermisst.

In Indien gibt es in jedem noch so kleinen Ort eine Unterkunft. Das war eigentlich auch immer meine Meinung. Doch Gestern bin ich in einer gar nicht mal so kleinen Stadt gelandet und konnte schon bei der Stadteinfahrt nichts sehen. Auf dem zentralen Markt fahre zu den Händlern und frage diese. Ich verursache erstmal einen regelrechtes Chaos, weil einfach alle den komischen Fremden sehen wollen. Zuerst wird jemand organisiert, der Englisch spricht. Dieser lädt mich dann erst zu einem Chai ein, während mich die Händler mit Früchten und Getränken eindecken. Es gebe tatsächlich keine Unterkunft in der Stadt. Hierher komme niemand, lacht er. Aber ein paar Anrufe später hat er organisiert dass ich die Nacht in einem Gouvernement Resthouse übernachten darf, welches eigentlich für reisende Beamte vorgesehen ist.

Es gibt noch Orte, wo der Lokal-Reporter alles stehen und liegen lässt, wenn ein Veloreisender eintrifft. So passiert, Gestern in einem kleinen Ort fernab der Touristenpfade. Noch bevor ich überhaupt im Guesthouse einchecken kann ist er bereits da und bittet mich zum Interview und Fototermin.

 

Als ich in Mumbai gestartet bin, war es dort noch richtig heiss (35º). Mit jedem Tag, den ich nun nördlicher komme, werden die Temperaturen angenehmer. Im Moment sind es fast optimale Bedingungen zum Velofahren: etwas frisch am Morgen und dann gut 20º am Nachmittag.

Nach etwa 10 Tagen erreiche ich die Grenze zu Rajasthan. Inzwischen klappt es sehr gut mit der Wahl der richtigen Strasse. Ich fahre tagelang auf kleinsten Nebenstrassen durch eine wunderbar ländliche Gegend. Männer mit imposanten Schnäuzen und bunten Turbanen sitzen in Gruppen neben der Strasse, Frauen in nicht minder bunten Saris gekleidet und Wasserbehälter auf dem Kopf balancierend kommen mir entgegen, nebenan treiben ein paar im Kreis gehende Rinder eine Bewässerungsanlage an während ich im Slalom um Tuk-Tuks, Rinder und Schlaglöcher der Strasse entlang fahre. Es ist fantastisch, das ist genau das Indien welches ich sehen wollte, abseits der oft chaotischen Grossstädte.

In Rajasthan (wörtlich, das Land der Könige), hat es fast in jeder Stadt ein imposantes Ford und besonders viele Jain-Tempel, wie zum Beispiel jener in Ranakpur, welcher durch seine mit unglaublich detaillierten Ornamenten verzierten 1444 Säulen herausragt. Es ist das Land der intensiven Farben. Sei es die Kleidung, Schmuck oder Gewürze: leuchtendes Gelb und Feuerrot dominieren.

Drachen steigen lassen ist in Indien sehr beliebt und als ich Jaipur erreiche, scheint der ganze Himmel voll davon zu sein. Kein Wunder, es wird ja auch soeben das Kite-Festival gefeiert. Dank dem Festival hat es in der Stadt viele Musik- und Tanz-Gruppen. Dazwischen besuche ich die Rosa Stadt, das interessante Fort in Amber und das Wahrzeichen von Jaipur, den Palast der Winde.

Als ich Jaipur verlasse ist es auf einmal neblig und kalt am Morgen. Leider bleibt das dann auch so in den kommenden Tagen. Vor allem am Morgen ist die Sicht oft kaum mehr als 20m und es ist feucht und kalt. Bei dem Wetter habe ich natürlich auch keine Lust noch zusätzliche Umwege zu fahren und bleibe so öfters auf grösseren, direkten Strassen. Es ist vor allem Kilometer abspulen und der Spass-Faktor hält sich in Grenzen. Immerhin erreiche ich dazwischen interessante Orte wie Agra. Den Taj Mahal kann ich aber bei der Ankunft erst kaum sehen, wegen des Nebels. 

Der ‚Höhepunkt’ ist dann die Ankunft in Delhi. Es regnet als ob der Monsun bereits begonnen hätte. Das Wasser von Oben wäre ja noch nicht so schlimm, aber wenn indische Strassen nass werden, dann wird es eine furchtbare Sauerei! Von überall her spritzt der Dreck und vor allem der Rand der Strasse (wo ich fahre) ist oft eine tiefe Pfütze. Als ich Delhi erreiche bin ich froh, kann ich gleich all meine Kleider in die Waschmaschine werfen.

Eigentlich wollte ich ja einen grossen Bogen um Delhi machen. Doch ein paar Tage vorher, schreiben mir Bekannte, die seit einiger Zeit hier leben und laden mich ein. So geniesse ich denn ein paar Tage lang nach allen Regeln der Kunst verwöhnt zu werden (Raclette, richtiges Brot und Wein). Ich kann die Zeit aber auch gut nutzen um Visa und Permits zu organisieren und wir besuchen einen buddhistischen Lama, dem ich von meinen Reisen erzähle. 

Velofahren in Indien ist oft auch mental anstrengend. Vor allem die vielen Motorradfahrer die ständig neben mir herfahren und mich mit ‚where from?‘ und ‚where to?’ während der Fahrt ausquetschen können mitunter nervend sein. Es gibt vermutlich auch in Indien Verkehrsregeln, aber die interessieren hier absolut niemanden. Gefahren wird nur nach der Regel: der Stärkere gewinnt. Bei getrennten Fahrbahnen muss ich z.B. ständig auf Gegenverkehr auf meiner Spur aufpassen. Zwei Dinge sind jedem Fahrer hier typisch: Es wird konstant und ohne ersichtlichen Grund gehupt und man schaut immer nur geradeaus (sicher nie zurück, auch wenn man z.B. in eine Strasse einbiegt).

Inder sind von Natur aus sehr neugierig und Privatsphäre ist hier ein unbekanntes Wort. Wo immer ich anhalte, ist sofort eine Menschenmenge die mich und alles was ich tue anstarrt. 

Ich freue mich, als ich Rishikesh erreiche. Der Ort liegt am Fusse der Berge, genau da wo der Ganges erstmals die Berge verlässt. Der Ort ist denn auch ein wichtiger Pilgerort. Es ist die selbsternannte Yoga-Hauptstadt der Welt. Bekannt geworden ist der Ort auch, weil in den 68ern die Beatles hierher kamen auf ihrer Suche nach spiritueller Erfahrung.

Als ich Rishikesh entlang des Ganges verlasse ist es, als ob sich Alles in einem Moment verändert. Keine grossen Strassen mehr mit viel Verkehr und lautem Gehupe, sondern eine kleine Bergstrasse die in unzähligen Kurven sich am steilen Berghang entlang schlängelt. Kein Nebel mehr sondern Sonne. Ich bin endlich da, wo ich schon lange hinwollte: am Fusse des Himalaya!

Die Strasse hat es denn von Beginn weg so richtig in sich. Flach ist aus dem Programm gestrichen worden. In fast täglichen sehr langen Anstiegen klettere ich mehrmals auf über 2000m rauf. Die Strasse scheint richtiggehend an den oft unmöglich steilen Berghängen zu kleben. Alle paar hundert Meter fahre ich über die holprigen Überreste eines Erdrutsches. Während des letzten Monsun wurde die Gegend von besonders starken Unwettern heimgesucht. Oft sieht es noch aus, als ob das gerade erst letzte Woche war.

Auf der zweiten Anhöhe kann ich dann erstmals einen Blick auf die schneebedeckten Gipfel des Himalaya Hauptkammes mit dem Nanda Devi geniessen. Nach einer Woche Auf und Ab durch viel Kiefernwald erreiche ich Nainital. Eine typisch indische Hillstation, wo früher die Engländer und heute die indische Mittelschicht an den Wochenenden gerne hinkommen. Von hier geht es in einer langen Abfahrt wieder runter in die Ebene und zur Grenze nach Nepal.