Der Empfang ist nicht gerade sehr freundlich. Es ist grau und regnet bereits seit einer Weile. Ich fahre noch ein paar kleine Pässe und stelle dann das Zelt auf einer Wiese neben der Strasse auf. Als ich am nächsten Tag erwache, spüre ich schon die intensive Sonne. Draussen schnauben Tiere. Als ich raus schaue grasen etwa 20 Pferde gleich neben meinem Zelt. Ich bin mitten auf einer endlos scheinenden Wiese wo es immer wieder kleine weisse Punkte hat, die Gers (Yurten) der Nomaden. Noch beim Frühstück kriege ich Besuch von meinem Nachbar von der Ger vis à vis und erhalte gleich mal meine erste Sprachlektion. Keine Frage, ich bin in der Mongolei!
In den ersten Tagen fahre ich eine der wenigen asphaltierten Strassen hier direkt Richtung Ulaanbaatar. Dank der guten Strasse und einem kräftigen Rückenwind komme ich schnell voran. Die Einfahrt nach Ulaanbaatar ist nicht schön. Die Hauptstadt ist alles das was der Rest der Mongolei nicht ist: dreckig, laut, Verkehrschaos, moderne Bauten, neue Shopping Center.
Ich bin auch vor allem hierher gekommen, um ein paar Sachen zu organisieren. Die Mongolei welche ich suche, beginnt da, wo die Asphaltstrassen enden. Und genau da gehe ich jetzt hin…
Auf der Suche nach einer interessanten Strasse um von Ulaanbaatar weg zu kommen, entscheide ich mich am Tuul Gol entlang zu fahren. Nach dem Flughafen geht die gut asphaltierte Strasse ansatzlos in eine holprige Piste über. Super, genau was ich gesucht hatte. Doch am zweiten Tag wird es immer sandiger und immer öfter und länger muss ich schieben. Verkehr hat es seit längerer Zeit schon keinen mehr. Mist, was jetzt? Es sind noch 50km bis zum nächsten Ort mit Wasser den ich am nächsten Tag erreichen muss, so lange reichen meine Vorräte noch. Doch wenn das hier so bleibt, schaffe ich das nie an einem Tag. Die Entscheidung ist nicht einfach, denn umkehren heisst wieder 120km auf dieser schlechten Piste zurück. Schliesslich drehe ich dann aber um. Lieber einmal zu viel Respekt vor einer Strecke, als einmal zu wenig.
Nach 3 heissen und trockenen Tagen erreiche ich am Ogiy Nuur erstmals den Olkhon Fluss. Diesem will ich nun in den nächsten Tagen folgen. Nach Harhorin geht es so richtig in die Berge rein. Es ist eine schlicht grandiose Fahrt. Einer kaum befahrenen Spur folgend geht es erst dem Olkhon Fluss entlang und dann von einem Tal ins nächste. Jedes ist anders, jedes ist traumhaft schön. In einem ist das Gras hüfthoch, im nächsten hat es schöne Lärchen Wälder und in einem anderen weite Wiesen voll von Edelweiss. zum Abschluss gibt es noch ein Bad in den heissen Quellen von Tsenkher.
Der 4021m hohe Otgon Tenger ist der heiligste Berg der Mongolei und darf auch nicht bestiegen werden. Auf einer Piste durch die Khanghai Berge will ich zum Berg fahren. Es geht durch ein weites, karges und einsames Tal auf die Bergkette zu. Kurz vor dem Pass plötzlich ein lauter Knall mitten in der Stille. Oje, mein Hinterrad-Reifen ist aufgeschlitzt und es klafft ein 5cm langes Loch auf der Seite. An einem abgelegeneren Ort hätte es nicht passieren können. Voraus und Rückwärts sind es jeweils 2 Tage bis zum nächsten Dorf und auf der Piste ist kaum jemand unterwegs. Mit Draht versuche ich den Reifen zu nähen. Sieht gut aus, aber nach nur 15 weiteren Kilometern knallt es bereits wieder. Diesmal nehme ich ein Schaltkabel zum ‚Nähen‘ und tatsächlich das scheint nun zu halten.
Nach 2 Tagen erreiche ich Nuhen Davaa, einen 3000m hohen Pass. Der Schlussanstieg ist typisch für die Mongolei: die Fahrspur führt einfach gerade über die Wiese rauf zum höchsten Punkt ohne Rücksicht auf die Steilheit. Oben kann ich dann den Otgon Tenger mit seiner Schneekuppe erstmals sehen.
Die Abfahrt auf der anderen Seite ist mindestens so anstrengend wie der Anstieg, wegen eines sturmartigen Gegenwindes. Die Landschaft ist aber wieder herrlich und Abends zelte ich jeweils an schönen Bergbächen.
Nachdem ich in Uliastay meine Vorräte wieder aufgestockt habe, starte ich zum Char Nuur. Es geht durch einsame Täler und über einige Pässe. Der See ist gut versteckt hinter hohen Bergen und umgeben von grossen Sanddünen. Auf dem nächsten Pass fahre ich durch ein imposantes Felsentor. Von oben sehe ich bereits das grosse Sandfeld durch das ich danach durch muss. Anstelle dass ich bilderreich beschreibe wie ich mich da durchgearbeitet habe, sage ich euch einfach wie lange ich gebraucht habe: Eineinhalb Stunden, Eineinhalb Stunden für 2 Kilometer!
Der Muchartin Gol ist ein eigenartiger Fluss. Erst entspringt er inmitten von Sanddünen und verschwindet dann unter einer solchen, nur um ein paar km weiter dann mitten in einer Wiese wieder aufzutauchen.
Die nächsten Tage folge ich nun einer grossen Sanddüne und einem davor liegenden Fluss nach Westen. Die Piste wird immer schlechter. Jeden Tag hat es noch mehr Sand und ich werde langsamer und langsamer. Der Tiefpunkt ist ein Tag an dem ich keinen einzigen Meter fahren kann und in 6 Stunden schieben gerade einmal 28km weiter komme.
Ich knote mir einen Gurt mit dem ich das Velo mit dem ganzen Körper ziehen kann um die Last besser zu verteilen. Ein 50kg schweres Tourenvelo kann man nicht schieben im weichen Sand, es muss gezogen werden.
Ich verlasse nun dieses Tal und es geht quer durch eine Wüste zum nächsten Fluss. Den ganzen Tag lang sehe ich keinen einzigen Menschen und Mitten drin reicht die sandige Ebene in alle Richtungen bis zum Horizont. Das ist schon extrem eindrücklich. Der Sand ist hier zum Glück etwas grobkörniger und so kann ich fahren. Allerdings nicht viel schneller als wenn ich zu Fuss gehen würde. Es holpert unglaublich. Überhaupt ist die ganze Strecke eine einzige Abnützungs-Schlacht: Zwei mal bricht der vordere Gepäckträger, ein Getränkehalter bricht, ein Objektiv meiner Kamera gibt den Geist auf und mein geflickter Reifen macht immer wieder Probleme. Aber dann kurz vor Khovd ist es mit einem Mal vorbei, staubig spuckt mich die Piste spuckt wieder aus und ich rolle ruhig in die Stadt ein.
Endlich mit einem neuen Reifen ausgestattet, verlasse ich Khovd. Genau 3 Tage hält er und verabschiedet sich dann mit einer spektakulären Explosion. Soviel zum Thema Chinesische Billigreifen.
Die Fahrt nach Olgiy führt am 4208m hohen Tsambagarav Uul vorbei. Auf einer tollen Strecke kann ich direkt am Fusse des Berges entlang fahren.
Fast über Nacht ist es nun plötzlich deutlich kälter geworden. Als ich am Morgen unterhalb des Berges aufstehe, sind alle meine Wasserflaschen solide durchgefroren. Auch runter geschneit bis auf etwa 2500m hat es nun zum ersten Mal. Und das genau jetzt wo ich so richtig in die Berge will…
Der Altay Tavang Boge Nationalpark im westlichsten Zipfel der Mongolei war von Beginn weg ganz oben auf meiner Wunsch-Ziel-Liste. Da er unmittelbar an der Grenze zu China liegt, brauche ich dafür ein Spezial-Permit. Leider schaffe ich es nicht, dieses alleine aufzutreiben und so entscheide ich mich schliesslich dafür, mit einem Taxi bis zum Park zu fahren, von wo ich dann alleine durch den Park und zurück fahren kann. Auf der Fahrt zum Park bin ich dann schon fast froh, diese Strecke nun nur einmal, auf dem Rückweg, fahren zu müssen, so holprig ist sie.
Ich komme mir ein wenig vor, wie ein zur Wiederansiedlung in der Wildnis ausgesetztes Tier, wie ich aus dem Land Cruiser aussteige mit meinen Sachen und dann plötzlich ganz alleine am scheinbaren Ende der Welt stehe. Für die erste Strecke hat mir der Manager des Ger Camps in Olgiy noch einen Tip gegeben. Diese Piste habe ich aber nicht auf meiner GPS-Karte und ich kenne nur deren ungefähren Verlauf. Es geht zuerst über eine grosse Gletscher-Moräne. Wie immer verzweigen dauernd Spuren in alle möglichen Richtungen. Mehrmals fahre ich falsch und muss dann immer wieder aufwändig durch die Moräne den richtigen Weg suchen. Ein langsames Vorankommen, aber schliesslich erreiche ich die gesuchten Seen.
Es geht über herrliche Hochebenen und vorbei an vielen Bergseen. Diese Ecke der Mongolei wird fast ausschliesslich von Kasachen bewohnt. Auf diesen hohen Wiesen hat es aber jetzt kurz vor dem Winter nur noch wenige Hirten. Die welche ich treffe sind aber umso eindrücklicher. Männer mit von den harten Bedingungen hier gezeichneten Gesichtern. Dick eingepackt in Lederjacken und Fellmützen und natürlich hoch zu Pferd. Sie freuen sich immer, wenn mal jemand vorbei kommt und halten mich immer an für einen kurzen Schwatz.
Am dritten Morgen regnet es aus ich aufstehe. Ich bin gerade knapp unterhalb der Schneegrenze. Als das Wetter dann besser wird starte ich. Bei der Anfahrt zum nächsten Pass beginnt es aber erneut zu regnen und geht dann bald in Schneefall über. Auf 2300m erreiche ich die Schneegrenze. Bald schiebe ich das Velo durch 15-20cm tiefen Schnee und bleibe dann schliesslich fast auf der Passhöhe regelrecht stecken. Bei einem Felsen finde ich einen etwas geschützten Platz und stelle mein Zelt auf. Es wird eine der unangenehmsten Nächte welche ich schon je verbracht habe. Viele meiner Sachen sind natürlich noch nass und feucht, es ist -20º und die ganze Nacht lang tobt ein Schneesturm welcher mein Zelt fast zudeckt.
Als ich am nächsten Morgen die Sonne am Horizont aufgehen sehe, ist es das Schönste überhaupt was ich mir im Moment vorstellen könnte. Warm ist es deshalb natürlich noch nicht, aber ich kann nun auf die andere Seite des Passes runter sehen. Dort hat es noch viel mehr Schnee und ich sehe schnell ein, dass es keinen Sinn macht hier runter zu gehen. Also geht es wieder die selbe Strecke zurück und dann aussen um den Berg zum angepeilten See.
Der Antrieb meines Velos ist ein einziger Eisklumpen. Bis ich das erste Mal wieder in die Pedale treten kann, muss ich erstmal mit grobem Werkzeug zur Sache gehen. Doch dann passiert es. Die Kette blockiert im hinteren Schaltwerk und mit der nächsten Pedalumdrehung reisse ich dieses vom Rahmen und in zwei Stücke. Super-GAU mitten in der Wildnis. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Kette zu verkürzen und mein Velo in ein Singlespeed umzufunktionieren. Zwei Tage ‚fahre‘ ich so, bis ich das erste Dorf erreiche wo ich dann ein Fahrzeug finde welches mich nach Olgiy zurück bringt.
Das Mongolische Altay ist auch bekannt für die ‚Eagle Hunters‘. Diese Jäger halten sich Adler und trainieren diese für die Jagd. Die Beute (Murmeltiere, Füchse und sogar Wölfe) teilen sich Jäger und Adler danach. Gerade jetzt treffen sie sich zu einem Festival, wo sie sich im Wettkampf messen. Ein tolles Spektakel mit einmaligen Charakteren und Tieren.
Zurück in Olgiy widme ich mich wieder meinem angeschlagenen Velo. Ersatzteile gibt es hier natürlich keine. Aber nach einem Tag Schweissen, Bohren, Hämmern und Schrauben kann ich tatsächlich wieder fahren
Als ich in Olgiy starte bin ich angespannt. Um zur Grenze zu kommen, will ich durch ein abgelegenes Tal bei Bulgan fahren. Dazu muss ich aber über einen deutlich höheren Pass fahren, als den wo ich vor wenigen Tagen eingeschneit wurde. Wenn ich da aber nicht rüber komme, stehe ich hier ganz schön im Abseits. Nach Tolbo verlasse ich die Hauptstrasse. Ich fahre einige Tage lang durch einsame, menschenleere Täler. Das Wetter hält sich gut, aber genau am Tag als ich den hohen Pass in Angriff nehme, ziehen Wolken auf. Es gibt aber kein Niederschlag und so komme ich ohne Schnee über den 3100m hohen Pass. Wegen des konstanten starken Windes ist es aber bitter, bitter kalt. Jetzt so schnell wie möglich runter. Doch so einfach ist das nicht, denn ich fahre erst noch eine ganze Weile in grosser Höhe über schöne Hochebenen und zelte dann schliesslich da. Am nächsten Morgen wache ich in einer regelrechten Eishöhle auf. Ich ziehe alle meine warmen Sachen an und starte dann. Nur langsam kann die Sonne Wärme spenden. Das Tal wird enger und in einer Schlucht geht es dann steil runter bis zur nächsten weiten Ebene.
Bulgan ist ein kleiner, staubiger Ort und danach wird das Tal nun schnell enger. Eine Weile hat es noch einzelne Jurten am Fluss, dann aber wird es wieder einsam. Steile, karge Felswände ragen auf beiden Seiten steil auf. Das Tal selbst ist eine einzige Fels und Steinwüste. Alles ist in monochromen Farben gehalten. Richtig düster sieht es aus, noch verstärkt durch die tief hängenden Wolken. Einziger Farbtupfer, dafür aber umso intensiver, ist die einzelne Reihe herbstgoldener Laubbäume welche sich auf der ganzen Länge dem Fluss entlang zieht.
Wie eine Schlange windet sich der Fluss in vielen Kurven um all die Felsen Richtung Süden. Immer ganz knapp daneben die Piste, welche manchmal kaum noch Platz hat in der engen Schlucht und einige Male regelrecht an den Felsen zu kleben scheint. Kein einziges Fahrzeug sehe ich in den 2 Tagen. Wie der Belag der Piste durch eine solche Landschaft aussieht, könnt ihr euch ja etwa vorstellen. Es geht ganz schön in die Knochen, ist aber nie ganz schlecht und immer fahrbar.
In der letzten Nacht regnet es. Ich bin gerade in einem Abschnitt wo weicher Sand immer mehr Überhand nimmt.Da freut mich natürlich der Regen, der den Sand kompakt und fahrbar macht. Erste Wiesen tauchen wieder auf und mit ihnen die ersten Tieren und Jurten. So toll finde ich nun den nassen Boden plötzlich nicht mehr, denn hier wo es nun erdiger ist, bleibe ich doch tatsächlich auch noch im Schlamm stecken. Es wird aber schnell wieder sandiger. Schliesslich erreiche ich kurz vor Bulgan wieder festeren und ruhigeren Boden unter den Rädern. Ich habe eben das Altai Gebirge überquert und bin nun an der Grenze zu China.