Die ersten zwei Wochen fahre ich praktisch ständig im Wald. Es sind meist gute, einsame Forststrassen. Nur auf den Pässen kann ich jeweils in die Ferne sehen. Dort oben ist die Strecke denn auch immer wieder mit tollen Singletrails gespickt.
Nach Helena ändert sich dann das und nun geht es auch öfters über weite offene Prairie. Irgendwo muss jemand einen Schalter umgelegt haben. Genau an dem Tag, an dem ich Banff verlasse wird das Wetter wolkenlos schön, heiss und stabil. Und es bleibt wochenlang so!
Klar, manchmal braucht es auch etwas Überwindung, Wenn ich mal wieder unten im Tal die Hauptstrasse kreuze und es zum x-ten Mal geradewegs hoch zum nächsten Pass geht, wo man doch auch einfach der Strasse entlang durch das Tal fahren könnte.
Wenn man sich aber lösen kann von der Idee, dass man so schnell und vor allem so einfach wie möglich von A nach B kommen will, dann ist diese Strecke das Non plus Ultra. Es ist einfach herrlich über diese fast verkehrsfreien Strassen durch das Land zu fahren.
Manchmal habe ich das Gefühl als ob ich in einer Art Parallel-Welt fahre. In einer wo es kaum motorisierten Verkehr gibt, die aus weiten verlassenen Tälern, aus endlosen Wäldern und weiter Prairie besteht. Alle paar Tage komme ich runter aus den Bergen und Wäldern und kreuze einen kleinen Ort wo ich einkaufen kann. Danach schalte ich wieder runter in den kleinsten Gang und klettere auf der anderen Talseite wieder rauf zum nächsten Pass.
Ich fahre die Strecke ja ohne die offiziellen Karten oder einer Beschreibung, sondern nur mit einem GPS-Track dem ich folge. Mir gefällt das, denn so weiss ich ausser dem Profil nie genau was kommt. Und vielleicht hätte ich dann das eine oder andere Mal eine einfachere Alternative genommen. So aber werde ich immer wieder überrascht.
Vom Erdrutsch, der die ganze Strasse mitgenommen hat und wo ich nur durch zweimaliges queren des hüfthohen Flusses weiter komme, vom 40% (!) steilen Wanderweg wo ich schiebend kaum runter komme, vom Waldweg wo man vor lauter Wurzeln den Boden nicht mehr sieht und von der Strasse die eigentlich gesperrt ist, weil sie sich in ein Flussbett verwandelt hat.
Nach einem Drittel des Trails mache ich eine Pause und fahre einen Abstecher durch den nahe gelegenen Yellowstone Park. Hier ist jetzt natürlich Hochsaison und ich muss mich erst wieder an den starken Verkehr gewöhnen.
Während ein paar Tagen fahre ich dann an all den zahllosen heissen Quellen, Geysiren und Wasserfällen vorbei und sehe meinen ersten Bison.
Im südlichen Wyoming trennt sich die Kontinentalscheide in zwei Gebirgszüge. Dazwischen liegt das Great Divide Basin und dadurch geht es nun als nächstes. Weites, trockenes Grasland soweit das Auge reicht, schon fast wie in der Mongolei.
Jetzt nach diesem besonders heissen und trockenen Frühjahr/Sommer hat es hier keinen einzigen Tropfen Wasser weit und breit. Zum Glück gibt es ein einsames Reservoir etwa in der Mitte.
Bald danach komme ich nach Colorado. Die kurze flache Etappe ist schon wieder zu Ende, es geht wieder in die Horizontale. Die Rockies sind hier am höchsten und am markantesten. Es geht vorbei an all den tollen Gipfeln und einigen Skigebieten.
An zwei Tagen regnet es ganz leicht und sofort verwandeln sich die Strassen in üble Schlammpassagen. Vermutlich nur um mir zu zeigen, wieviel Glück ich mit dem Wetter habe. Es sind die einzigen Schlechtwetter Tage auf der ganzen Route.
Colorado habe ich hinter mir und irgendwie habe ich nun das Gefühl, das Schwierigste gemeistert zu haben, die hohen Berge hinter mir zu haben, dass es nun etwas einfacher wird.
Von wegen. Der südliche Teil Colorados und dann die ersten Tage in New Mexico, stellen in der Beziehung noch einmal Bestmarken auf. Mehrere Tage hintereinander schreibe ich am Abend in mein Tagebuch, dass das heute nun der härteste Tag war. Anspruchsvolle Pisten in Kombination mit langen Anstiegen verlangen mir Alles ab, aber die Streckenführung und Landschaft ist einfach grandios.
Die GDMBR vermeidet ja stur jegliche bekannten Touristischen Ziele sondern führt statt dessen durch eher unbekanntes Backcountry. Es sind also nie die bekannten Orte aber nicht minder schöne Landschaften durch die ich fahre, immer praktisch menschenleer.
Anders als die meisten anderen Fahrer, weiche üblicherweise mit einem Mountainbike mit Ultralight Gepäck fahren, bin ich mit meinem ganzen Plunder unterwegs, ein Lastwagen auf Wanderwegen.
Wochenlanges fahren auf Schotterstrassen ist natürlich auch für das Velo eine Herausforderung, besonders für ein Velo welches schon um die halbe Welt gefahren ist. Dreimal muss ich insgesamt Reifen wechseln und die Radläden sind an dieser Strecke nicht gerade an jeder Ecke zu finden. So fahre ich denn mehrmals längere Strecken mit höchster Vorsicht um die angeschlagenen Reifen zu schonen.
In Del Norte fahre ich erst fast durch, kann dann aber jemanden finden, der den Besitzer eines Second Hand Sportladens kennt, worauf dieser den Laden für mich öffnet am Labour Day und wo ich dann einen neuen Reifen finde. 50km später auf dem nächsten Pass verabschiedet sich dann mein angeschlagener Reifen tatsächlich. Da hätte ich ganz schön alt ausgesehen.
Da ich meist im Wald bin, sind die meisten Leute die ich treffe Jäger. Im Moment ist gerade bow-season, dass heisst es darf nur mit Pfeil und Bogen gejagt werden. Die Jagd ist in den USA ja total High Tech und so pirschen denn die Leute mit ATV, Trail-Cam, ultra modernen Pfeilbogen und unzähligen anderen Gadgets durch die Wälder.
Im Süden von New Mexico werden die Berge dann allmählich doch kleiner. Dafür sind hier die Strassen umso ruppiger. Vor allem aber hat es nun kein Oberflächen Wasser mehr, d.h. ich muss nun deutlich mehr Wasser mit dabei haben. Die Nadelwälder gehen langsam über in Kakteen und dann am 54.Tag nach dem Start in Banff habe ich es geschafft und erreiche ich die Grenze zu Mexico.
OK, nun habe ich also die USA von Norden nach Süden durchquert. Und sollte mich nun jemand fragen, wie es denn so ist in Amerika, dann werde ich antworten, dass es ein Land ist wo es kaum motorisierten Verkehr gibt, keine grossen Städte, statt dessen endlose Wälder und Berge und weite Prairie und wo praktisch das gesamte Strassennetz aus Schotterstrassen besteht!
Ihr seht schon, dass ich noch etwas hier bleiben muss, um diese Illusion wieder ins rechte Licht zu rücken. Da ich deutlich früher als geplant hier angekommen bin, habe ich auch noch etwas Zeit dafür. So habe ich denn noch einmal meine Karten konsultiert und dann das finale Ziel definiert: In San Francisco plane ich Ende November diese Reise beenden.
Genau am Tag als ich erstmals nicht mehr auf den Naturstrassen unterwegs bin, regnet es erstmal wieder seit langem und zwar gleich 2 Tage lang ununterbrochen. Da habe ich wirklich Glück gehabt, dass mich der Regen nicht auf den erdigen Pisten New Mexico’s erwischt hat.
Es geht nun Richtung Westen durch Arizona, immer nahe der Grenze entlang. Viel los ist hier zum Glück nicht auf den Strassen ausser den weiss-grünen Fahrzeugen der Grenzpatrouille die ständig präsent sind. Es ist erstaunlich grün und hügelig hier im Süden. Doch als ich dann in die Nähe von Tucson komme, geht es immer tiefer runter. Ich fahre nun durch die Sonoran Wüste. Es geht durch regelrechte Wälder mit diesen grossen Saguaro Kakteen. In der Umgebung von Phoenix wird es dann aber unangenehm heiss.
Wie fährt man am Besten durch eine Wüste? Am frühen Morgen und am Abend natürlich. Aber was macht man dann in den heissen Nachmittags-Stunden? Irgendwo Schutz suchen, bloss wenn es nichts gibt? Mehrmals krieche ich regelrecht unter dornige Büsche um dort etwas Schutz zu suchen, bis ich dann am
Abend wieder weiter fahre. Abends wenn ich dann das Zelt aufstelle ist es, als ob ich das auf einer Herdplatte machen würde, dermassen stark strahlt die Hitze noch die halbe Nacht lang vom aufgeheizten Boden. Die einzige Abkühlung kommt bei der Überquerung des Colorado Rivers, welcher gerade eben durch den Grand Canyon geflossen ist.
Als ich in die Mojave Wüste wechsle geht es markant bergauf und sofort ist es deutlich angenehmer. Der Joshua Tree Park liegt bereits wieder auf 1300m. Mehrere Tage fahre ich durch den tollen Park. Die Abends rot leuchtenden Granitfelsen und natürlich die Joshua Tree’s (eigentlich eine Yucca Pflanze) sind genial.
Weil die Wüste so hoch ist und es hier richtig dunkel ist Nachts, ist die Sicht auf die Sterne hier besonders eindrücklich.
Die Vororte von Los Angeles werden nun immer grösser. Die Fahrt zur Küste ist dann aber recht einfach weil es einen fast durchgehenden Radweg am Santa Ana River entlang gibt. Entlang der berühmten Strände von Newport, Venice, Santa Monica und Malibu kann ich auf einem schönen Radweg direkt am Strand entlang fahren.
Irgendwie ist mir das dann wohl etwas zu ruhig und so beschliesse ich einen kurzen Abstecher von der Küste durch Hollywood zu fahren. Die Gegend hat aber definitiv ihre Glanzzeiten hinter sich und wirkt an viel Orten etwas heruntergekommen.
Die Küstenstrasse zwischen San Diego und San Francisco ist eine der beliebtesten Radrouten in den USA. Es hat entlang der Küste viele Staatliche Parks wo man zelten kann und hier treffe ich jeden Abend viele andere Radler.
Der südliche Teil der Strecke ist eher etwas enttäuschend. Der nördliche, bekannt als ‚Big Sur‘ ist dann schon eher nach meinem Gusto. Hier hat es eine enge, kurvenreiche Strasse die sich an der Felsenküste entlang windet. Die Gegend ist angenehm naturbelassen bedenkt man wie nahe die grossen Städte sind.
Von Santa Cruz wären es eigentlich nur noch 100km bis San Francisco, meinem Ziel. Doch ein letztes Mal mache ich noch einmal einen Umweg um dahin zu kommen. Den Yosemite Park möchte ich zum Schluss gerne noch sehen.
Ich fahre also quer durch das Valley und endlos scheinende Mandel-Plantagen in die High Sierra. Man kann 100 Bilder vom El Capitan gesehen haben. Wenn man aber um die Kurve ins Yosemite Valley gefahren kommt und erstmals vor dieser gigantischen Felswand steht ist das einfach atemberaubend. Die 1000m hohe senkrechte Granitwand ist einfach gigantisch. Den Aufenthalt im legendären Camp 4 muss man sich aber erstmal verdienen. Morgens um 5 (!) stelle ich mich in die Schlage um dann 4 Stunden später gerade noch den letzten Zeltplatz zu ergattern.
Fast eine Woche bleibe ich im Park. Stundenlang starre ich in die senkrechten Felswände und beobachte Kletterer, mache einige kleinere Wanderungen, vor allem aber versuche ich ‚runter zu fahren‘, meinem Körper verstehe zu geben, dass jetzt Schluss ist mit täglich 5-8 Stunden velofahren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass das keine einfache Sache ist.
Dann packe ich ein letztes Mal meine Sachen zusammen und fahre wieder nach Westen, rein nach San Francisco.
Ich bin froh, dass ich diese Reise nicht in einem anonymen Hostel beenden muss. Ich komme bei einem guten Freund mitten im Silicon Valley unter und kann mich langsam wieder an ein Leben mit einem Dach über dem Kopf gewöhnen.
Eine gute Woche bleibe ich noch hier und am 3. November, am 1133. Tag, nach gut 70’000km, fahre ich in die Stadt rein und beende diese Reise auf der Golden Gate Bridge.
So geht also eine weitere Reise zu Ende. Auf mich warten in den nächsten Wochen andere Abenteuer wie Job- und Wohnungssuche etc.
Bedanken möchte ich mich vor allem bei den zahllosen Menschen die ich unterwegs getroffen haben und die mir in irgend einer Weise geholfen haben. Ohne sie wäre diese Reise nur halb so spannend gewesen.
In wenigen Stunden fliege ich nach Hause. Ich freue mich und schätze mich unglaublich glücklich wenn man nach einer so langen Reise immer noch sagen kann, dass das immer noch der schönste Ort ist, den man kennt…