Im tiefen Winter eine Velotour in der Schweiz zu starten, ist bestimmt nicht der ideale Zeitpunkt. Es sind zwar fast alle Alpenpässe geschlossen und trotzdem will ich die Schweiz nicht durch die 'Hintertüre' verlassen. Im Gegenteil, ich nehme mir vor durch die schönste Ecke zu fahren: das Engadin!
Petrus scheint auch Velofahrer zu sein: Während den ersten Tagen verwöhnt er mich mit konstant fantastischem Wetter. Der Start könnte nicht schöner sein: Bei besten Bedingungen fahre ich durch die verschneite Schweiz: über den Sattel an den Zürichsee, weiter zum Walensee. Am zweiten Tag erreiche ich Tiefencastel am Fusse des Julier Passes. Hier hat es (ich glaube ich spinne) einen offenen Camping Platz! Da kann ich natürlich nicht widerstehen und so stelle ich mein Zelt im Schnee auf, auch wenn es neben den beheizten Wohnwagen etwas kurios aussieht.
Am nächsten Morgen schneit es leicht. Während den ersten Stunden ist die Fahrbahn schneebedeckt. Der Julier, eigentlich velofahrerisch ein sehr einfacher Pass, schlaucht mich gewaltig. Insbesondere die vielen Karten und Bücher in meinen Taschen, haben das Gewicht meines Vehikels anschwellen lassen. Auf der Passhöhe ist das gute Wetter zurück.
Die Fahrt über den Bernina Pass am nächsten Tag, ist bedeutend leichter. Die Steigung hier ist bereits Reise-Velo-tauglich. In der Steigung werden bald Blicke auf die umliegenden Berge frei: Piz Palü, Piz Bernina mit dem Biancograt und Piz Morteratsch. Erinnerungen an tolle Bergtouren werden wach. Jetzt, mitten in der besten Skitouren-Saison die Alpen zu verlassen, fällt mir nicht leicht. Um das zu erleichtern, gibt es noch etwas ganz besonderes: Meine Skitouren-Freunde, die Geruttis, sind mir mit dem Auto und meinen Skis nachgereist und zusammen wollen wir noch einige Touren im Saoseo-Gebiet unternehmen. Obwohl es wenig Schnee hat, werden es tolle Tage mit schönen Skitouren, gutem Essen und lustigen Abenden mit guten Freunden. Als ich am letzten Tag Richtung Italien aufbreche, fällt mir der Abschied noch schwieriger...
Italien
Durch's Veltlin erwische ich eine Strasse genau nach meinem Gusto: Eine kleine, schwach befahrene, gebirgige Strasse, welche durch viele malerische Orte führt. Mir gefallen diese kleinen Orte, mit den kleinen, hohen Steinhäusern und den noch höheren Kirchtürmen. Allmählich komme ich aber aus den Bergen raus und es wird flacher. Das milde Wetter hat auch hier einige Rennradler auf eine Trainings-Runde gelockt. Die Fahrt entlang des Lago d' Iseo ist schon fast kitschig: Das warme Nachmittags-Licht der noch schwachen Januar-Sonne taucht den See und die Dörfer am Ufer in die tollsten Farben.
Entlang der grossen Städte Bréscia, Verona und Pádova ist aber fertig mit der Ruhe. Ich quäle mich mit starkem Verkehr und einer Beschilderung, die mich immer wieder auf Autostradas lotsen will rum. Oft hat es am Morgen dichten Nebel.
Slowenien
Genau mit der Grenze zu Slowenien geht die lange Flachetappe zu Ende. Nun fahre ich wieder durch immer leicht hügelige Landschaft. Es hat sehr viel Wald hier in Slowenien und auf der Strasse ist es wieder angenehm ruhig.
Dass es aber so viele Steigungen bis Ljubljana sein sollen, überrascht mich dann doch etwas. Robert aus Ljubljana, den ich bisher nur als Besucher meiner Webseite kannte, hat mich eingeladen und will mich auf der Strecke abholen kommen. Ich befürchte schon fast, ihn zu verpassen, als ich ihn dann doch schlafend am Strassenrand treffe. In seinem Schlepptau schaffe ich die restlichen Kilometer nun auch noch. Was für ein Empfang in Slowenien: Robert, Luka und Gogi versorgen und verwöhnen mich 3 Tage lang und zeigen mir die Umgebung. Vielen Dank nochmals!!
Kroatien
Auf dem Weg zurück zur Küste werde ich dann doch noch vom Winter eingeholt: über Nacht gibt es 20cm Neuschnee! Auf der Strasse ist ein einziges Chaos. Bei wieder bestem Wetter, fahre ich nach einem Tag Zwangspause durch wunderschöne, tief verschneite Wälder, bis es steil zur Küste runter geht.
Entlang der Küstenstrasse herrschen schon fast Frühlingstemperaturen: angenehme 10°C und viel Sonnenschein. Die ganze Küste liegt noch im touristischen Winterschlaf. Überall ist es angenehm ruhig und viele Restaurants und Hotels sind noch geschlossen.
Entlang des felsigen Ufers ist es im Norden recht karg, im Süden fahre ich durch schöne Nadelwälder. Nur wenige Km abseits der Strände komme ich bei einem Inland Abstecher bei Benkovac zu den Zeugen des Krieges: Häuserruinen und Wiederaufbauprogramme erinnern an die systematische Zerstörung aller Häuser von Serben in dieser Gegend. Immer noch unverständlich, wie so etwas in unserer unmittelbaren Nähe passieren konnte...
Immer wieder hat es tolle Städte entlang der Küste (Senj, Šibernik, Split) mit schönen Altstädten und engen Gassen. Die Krönung dieser Orte ist natürlich Dubrovnik. Doch zuerst muss ich noch 2 Tage durch Schnee und Regen fahren: Es ist halt doch noch Winter!
In Dubrovnik mache ich Pause und sehe mir die Stadt an. Hinter mächtigen Mauern versteckt sich eine faszinierende Altstadt mit engen Gassen, schönen Plätzen und imposanten Bauten komplett aus weissen Steinen gebaut.
Bosnien Herzegovina
Während ich in Dubrovnik bin bricht, wie in ganz Europa, der Winter über das Land. Sogar hier an der Küste schneit es. Im Fernseher sehe ich die Bilder: Schnee in Hülle und Fülle, geschlossene Strassen, steckengebliebene Busse. Und das gerade jetzt, wo ich von der Küste weg will ins Hinterland. Ich warte bis das schlimmste vorüber ist ist in Dubrovnik. Als dann die Prognosen besser werden, starte ich. Doch ich fahre mit gemischten Gefühlen los. Wie sieht es im Hinterland aus? Werde ich überhaupt durchkommen? Wieviel Schnee liegt genau? Die Grenze zu Bosnien Herzegovina wirkt gespenstisch: unmittelbar davor ist ein Minenräumungs-Trupp an der Arbeit. Auf der Strasse hat es immer wieder Granaten-Einschusslöcher; schon geflickt, aber halt deutlich sichtbar. Ich frage den Zöllner, wie denn der Zustand der Strasse ist. Dieser schaut sich prüfend meinen Reifen an: wird schon gehen damit, meint er. Vermutlich hat er aber gedacht, dass ich nur in die nächste Stadt will... Bald sehe ich, wie es wirklich um die Strasse steht: Sie ist zwar geräumt, aber nicht Schwarz. Ich fahre auf einer kompakten Schneedecke. Das geht eigentlich ganz gut und ist sicher besser als Matsch und Eis. In vielen kleinen Steigungen geht es allmählich in die Höhe. Kurz vor dem ersten Pass auf 1000m suche ich nach einem Platz zum Übernachten. Durch den teilweise hüfttiefen Schnee wühle ich mich von der Strasse weg an einen Wind- und Sicht geschützten Platz im Wald.
"Wenn der Wind vom Landesinneren kommt, bedeutet das gutes Wetter" hat man mir gesagt. Tatsächlich habe ich gutes Wetter. Doch der (Gegen-) Wind ist eine Spur zu stark. Schneeverwehungen machen ein Weiterfahren immer schwieriger. Doch am schlimmsten ist die Kälte. Die Lufttemperatur mit -12 Grad ginge ja noch, aber der mittlerweile stürmische Wind ist brutal. Selbst mit meinen 3 paar Handschuhen kann ich die Finger nicht mehr genügend warm halten. Zweifel kommen auf. Wie lange geht das denn noch so weiter? Habe ich überhaupt eine Chance durchzukommen? Dann endlich habe ich den höchsten Punkt erreicht und eine lange Abfahrt beginnt. Hier unten ist es zwar nicht wärmer, aber der Wind ist nun weg. Das Schlimmste ist überstanden.
Serbien Montenegro
Nach dem Grenzübergang zu Serbien Montenegro fahre ich noch einmal über einen fast 1000m hohen Pass auf verschneiten Strassen. Für einmal ist das Gewicht meines Velos ein Vorteil: nur so kann ich überhaupt auf dem Schnee fahren. Die folgenden Tage wird das Terrain flach und die Strasse ist nun schneefrei. Ich fresse Kilometer bis Niš.
Bulgarien
Während meiner ganzen Fahrt durch Bulgarien überschreitet das Thermometer nie die Null Grad Grenze. Am zweiten Tag aber stockt mir der Atem: es ist -20°C kalt! Die mit Eis und Reif überzogenen Bäume entlang der Strasse glitzern prächtig. Ich fahre zügig weiter Richtung Griechenland, in der Hoffnung, dort etwas wärmere Temperaturen anzutreffen. Griechenland ist für mich das Synonym für Sonne und Wärme. Klar ist es hier jetzt auch Winter, aber die Hoffnung treibt mich an.
Griechenland
Tatsächlich, Griechenland verteidigt seinen Ruf und beschert mir eine Woche lang wolkenlosen Sonnenschein. Es ist zwar auch hier kalt und teilweise liegt sogar Schnee. Die Fahrt der Küste entlang und durch die riesigen Oliven Plantagen ist aber herrlich. Etwas vom Schönsten, wenn man Richtung Osten fährt ist, dass man (bei gutem Wetter) jeden Tag in einen Sonnenaufgang hinein losfährt. Und wo sind die Sonnenaufgänge schöner, als über der griechischen Ägäis... Heute gibt es aber noch eine Zugabe: Ganze Schwärme von Flamingos und Pelikanen begleiten mich - ein Traum! Ich fahre an einer grossen Lagune entlang. Hier überwintern über 200 Vogelarten.