Die Strasse führt nun immer näher an den Himalaya heran. Auf dem folgenden Abschnitt fahre ich in unmittelbarar Nähe des Shishanpangma (8012m) entlang, ehe ich schliesslich auf den Friendship Highway treffe. Dieser, obwohl noch nicht asphaltiert (in spätestens einem Jahr dürfte das aber bereits geändert haben, denn im Moment ist er eine einzige Baustelle) kommt mir tatsächlich wie ein Highway vor: viel Verkehr, staubig und fast täglich eine organisierte Biker-Gruppe.

Von der letzten Reise her habe ich die Übernachtung auf dem Lalung La noch in toller Erinnerung und so fahre ich noch eine kleine extra-Schleife um dort oben noch einmal zu zelten. Belohnt werde ich erneut mit einem unvergesslichen Blick auf die Berge während des Sonnenuntergannges. Bilder, Farben und Stimmungen die man unmöglich auf Fotos festhalten kann. In Dingri muss ich mal wieder meine und die Batterien der Kamera aufladen, ehe es zum Everest Basislager hoch geht. Ich tue das vor allem indem ich mich in den Restaurants die Speisekarte rauf und runter esse.

Ich fahre eine relativ wenig befahrene Alternative und bin mir bald nicht mehr sicher, ob ich noch richtig bin. Als mir endlich ein Lastwagen entgegen kommt, halte ich ihn an und frage nach dem Weg - alles OK. Doch als der Lastwagen weiterfährt, starre ich ihm bewegungslos hinterher. Er ist mir schlicht über das Velo gefahren! Geschockt stehe ich da, unfähig etwas zu sagen oder zu tun. In diesem Augenblick bricht für mich eine Welt zusammen. Als ich wieder reagieren kann, ist der Lastwagen längst über alle Berge und ich schau mir das Ergebnis an: Das Hinterrad ist völlig verbogen, an einer Stelle ist die Felge total zerquetscht und die Flanke auf ca. 8cm herausgebrochen, das Ausfallende ist abgebrochen, das Schaltwerk ist auseinander gefallen, der Gesammte Hinterbau des Rahmens ist ca. um 8cm verschoben, eine Pedale ist verbogen, die Aufhängung einer Tasche abgerissen. Der super-GAU! Zum Glück kommt bald ein Jeep vorbei und bringt mich zurück nach Dingri. Als ich dort wieder im Guesthouse eintreffe schauen sich alle entsetzt das Wrack an das ich da anschleppe.

Als ich vor 8 Jahren von Lhasa her kommend hier entlang fuhr, ging mir nur 30km vor dem Abzweiger zum Everest mein Freilauf kaputt und ich wollte danach die Fahrt dorthin nicht mehr wagen. Und jetzt schon wieder? Nein, das kann nicht sein. Das Ereignis löst bei mir eine Art Trotzreaktion aus. Während den folgenden 8 Stunden hämmere, schraube und schweisse ich wie ein Besessener pausenlos und als Abends die Sonne untergegangen ist, bin ich tatsächlich auf der ersten Probefahrt durch das Dorf. Die Leute staunen nicht schlecht. Als ich am Morgen mit meinem Wrack hierher zurückkam hätte keiner auch nur einen Yuan darauf gewettet, dass ich damit bald wieder fahre.

Perfekt ist es natürlich nicht. Am schlimmsten zum Fahren ist die 'eiernde' Pedale und die Schaltung, welche nur noch mühsam funktioniert. Zudem sieht die mit einer Cola-Dose ausgelegte Felge auch nicht gerade vertrauenserweckend aus und wegen der Felge muss ich ohne Hinterrad-Bremse fahren. In Shigatse kann ich bestimmt Ersatzteile auftreiben. Aber was soll ich nun tun, direkt dorthin fahren und den Everest wieder sausen lassen? Entgegen aller Vernunft entscheide ich mich, doch zum Everest zu fahren.

Kurz vor dem Everest Basislager Ich versuche natürlich so vorsichtig wie möglich zu Fahren, aber die Strasse ist alles andere als Materialschonend. Unterwegs bricht noch einmal die Gepäckträgerbefestigung ab und das Schaltwerk fällt zweimal auseinander. Aber ich komme an. Es ist ein reiner Sieg des Willens, gegen alle Widrigkeiten.

Dass der Everest gross ist, hab ich natürlich schon erwartet. Als er dann aber mit voller Grösse vor mir steht, raubt mir das doch erstmal den Atem. Die Grössenordnungen hier sind schon extrem: ich bin im Basislager auf 5170m und vor mir ragt die Rongbuk Wand noch einmal 3500m fast senkrecht in die Höhe!

Eigentlich ist es nicht erlaubt, höher als das Basislager zu gehen ohne Bewilligung. Doch da die Saison bereits zu Ende ist, wurde der kontrollierende Offizier abgezugen. Da lasse ich mich natürlich nicht zweimal bitten. An einem Tag gehe ich hinauf bis auf 5900m, knapp unterhalb von Camp2. Vor allem der letzte Abschnitt ist beeindruckend, wo ich über die Mittelmoräne aufsteige und auf beiden Seiten die grossen Seracs des Rongbuk Gletschers bestaune, während voraus der Gipfelgrat mit first & second step sichtbar ist.

Auf dem Weg zurück zum Friendship Highway geht es über den Pang La. Hier scheint wohl jemand einen Rekord aufgestellt haben zu wollen. In den 62 Spitzkehren, in denen es rauf auf 5200m geht, wird mir fast schwindlig. Oben werde ich dafür mit einer Aussicht belohnt, die Ihresgleichen sucht: Vom Makalu (8463m) über Lhotse (8501m), Everest (8848m) bis zum Cho Oyu (8153m) reicht die Sicht auf den Himalaya.

Bis jetzt hatte ich ja zum Glück null Probleme mit meiner Gesundheit. Nun aber kriege ich doch noch Giardia. Etwas das seit meinem ersten Besuch hier, bei jedem Aufenthalt in der Gegend wieder zurückkommt. Ich habe zum Glück das benötigte Antibiotika dabei und bin das Übel schnell wieder los. Kurz vor Shigatse ist es dann soweit. Nach über 3200km auf holprigen Strassen (mit Ausnahme der 80km nach Ali) fahre ich erstmals wieder auf Asphalt! Erst jetzt auf der ruhigen Strasse wird mir wieder bewusst, in welchem Zustand mein Hinterrad ist...

In Shigatse mache ich eine längere Pause, montiere eine neue Felge (Marke chinesische Einheitsfelge), kann die Pedale wieder einigermassen richten und die Schaltung soweit zurechtbasteln, dass das Fahren wieder Spass macht.

Da ich die südliche Route von Shigatse nach Lhasa schon mal gefahren bin, entscheide ich mich diesmal für die nördliche. Sobald ich die Hauptstrasse verlassen habe, fahre ich wieder durch viele hübsche Dörfer. Die Kinder winken wieder freundlich und strecken nicht bettelnd die Hand aus. Ich habe die Strasse praktisch für mich und sehe vielleicht 3 Fahrzeuge pro Tag.

Wenn der Westen Tibets das Land der Nomaden ist, so ist Zentral Tibet das Land der Landwirtschaft. In dem engen Tal wird fast jeder verfügbare Fleck als Feld genutzt. Vor allem Gerste wird angepflanzt, welcher später geröstet als Tsampa tradidionell einen Haupnahrungsbestandteil bildet. In den Dörfern wird die bereits geerntete Gerste gedroschen und die Felder werden mit Yaks gepflügt und für den Winter bereit gemacht.

Das Klima ist in diesem Teil Tibets deutlich niederschlagsreicher als in den Gegenden wo ich bisher war. Das sehe ich deutlich daran, dass nun auf den Hügeln je länger je mehr Schnee liegt. Zudem ist es deutlich kälter geworden. Nicht unbedingt Nachts, sondern am Morgen dauert es nun jeweils lange, bis das Thermometer über die Nullgrad-Grenze steigt. In der Steigung rauf zum Suge La, fahre ich direkt am 7043m hohen Jomo Gantsen vorbei. Die geniale Sicht auf den Berg lässt die Anstrengung glatt vergessen.

Je höher ich komme, desto mehr Schnee liegt rundherum und kurz vor der Passhöhe ist dann die Fahrbahn schneebedeckt. Die Sonne hat sich hinter ein paar Wolken versteckt und es bläst ein brutaler Wind als ich oben auf 5430m ankomme. Wie befürchtet liegt in der Nordseite noch viel mehr Schnee. Vorsichtig rolle ich runter, doch nach 2 Stürzen sehe ich ein, dass es wohl doch besser ist, das Velo zu schieben. So schnell ich kann renne ich mit dem Velo den Pass runter. Trotz meiner 3 Paar Handschuhe habe ich schon lange kein Gefühl mehr in den Händen. Ich muss so schnell wie möglich runter, wo es etwas geschützt ist. Jetzt ein heisses Bad, das wäre der Hit. Der Gedanke kommt nicht von ganz ungefähr. In etwa 50km soll es heisse Quellen geben. Das wird zwar noch ein langer Tag, aber bei Sonnenuntergang bade ich tatsächlich im heissen Pool und taue langsam wieder auf.

Ich treffe wieder auf die Hauptstrase Richtung Lhasa, doch vorher sehe ich noch einen grossen Damm quer über das ganze Tal. Was ist denn das? Ach ja, die Eisenbahn! Sie hat nun tatsächlich Lhasa erreicht. Kein Zweifel, einmal in Betrieb wird sie Lhasa und ganz Zentral Tibet weiter verändern.

Ich fahre aber noch nicht nach Lhasa sondern will erst einen Abstecher zum Namtso, dem zweitgrössten Salzsee Tibets, machen. Um dahin zu gelangen muss ich über den 5185m hohen Largen La fahren. Hier hat es aber noch viel mehr Schnee als beim letzten Pass. Da es aber so kalt ist, kann ich auf dem festgepressten Schnee recht gut fahren. Die Aussicht vom Pass über den See ist genial. Allerdings reicht ein Blick auch um zu entscheiden, dass ich nicht runter fahre (ich müsste wieder über den selben Pass zurück): die ganze Gegend um den See ist tief verschneit. Fürs erste habe ich genug von der Kälte und mache mich auf den Weg ins tiefergelegene, warme Lhasa.

Vor Lhasa fahre ich aber noch zum Kloster Tsurphu hoch. Tsurphu ist der Sitz des Karmapa. Der momentan 17. Karmapa (geb. 1985) wird gleichermassen vom Dalai Lama und von den chinesischen Behörden anerkannt. Er war der ranghöchste Lama der in Tibet wohnte, bevor auch er 1999 ins Exil nach Dharamsala floh.

Dann aber fahre ich doch nach Lhasa rein. Ich könnte euch jetzt einen ganzen Newsletter lang vorjammern, wie sich sich Lhasa verändert hat...aber ich lasse es besser.

Ich geniesse ein paar ruhige Tage, gutes und viel Essen und das Stadtleben zur Abwechlung.

Die engen Gassen rund um den Barkhor und Jokhang sind noch immer ein Treffpunkt der Pilger aus ganz Tibet. Hier kann ich stundenlang sitzen und Leute beobachten.