In Lijiang hatte ich schon erste Gerüchte gehört, dass die Strasse nach Litang für Ausländer nicht offen sein soll. Im ersten Dorf nach Zhongdian sehe ich voraus einen Checkpoint und ...werde freundlich durchgewunken! Später erfahre ich, dass eben erst vor en paar Tagen die Strasse wieder geöffnet wurde.
Im chinesischen Sinne gehört das hier nicht zu Tibet. Historisch gesehen ist es aber die Ost-Tibetische Provinz Kham. Das hat den grossen Vorteil, dass Reisen in diesem Gebiet einfacher ist.
Ich passiere die ersten Mani-Mauern und Chorten und auf dem ersten Pass flattern die Gebetsfahnen. Motorradfahrer rufen mir laut 'Tashi delek!' zu und auf den Wiesen grasen Yaks. Ich kann mein Glück kaum fassen. Eigentlich wollte ich die ganze Zeit immer nur hierhar. Es war die treibende Kraft über all die letzten Monate. Nach fast genau einem Jahr bin ich nun da, angekommen. Die Freude ist grenzenlos. Tibet ist und war für mich immer mehr als nur ein Ort auf der Landkarte. Mit diesem Ort fühle ich mich auf eine Art verbunden, die schwierig in Worte zu fassen ist.
Zur Begrüssung gibt es gleich das Fest-Programm: Eine holprige Piste, endlos lange Steigungen zum ersten richtig hohen Pass und in der ersten Nacht dort oben werde ich auch gleich noch eingeschneit - yiiha!
Auf den gut 400km bis Litang gibt es von Allem etwas: weite Wälder, tolle Berge, karge Hochebenen und weites Grasland. Als Krönung darf ich bereits über fünf 4000er Pässe fahren. Nach einem 4728m hohen Pass werde ich kräftig eingeschneit. Auch wenn das am Morgen danach nicht gerade angenehm ist, freue ich mich. Denn ich weiss was mir nach Neuschneefall bevorsteht: Eine Fahrt durch eine frisch verschneite Märchenlandschaft die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Es sind diese Bilder, die sich so hartnäckig in meinem Kopf festkrallen und mich immer wieder hierherkommen wollen lassen.
Litang ist eine lustige Stadt. Die Khampas (Bewohner Kham's) waren schon immer bekannt dafür wilde Kerle zu sein und waren früher gefürchtete Banditen. Wild sehen sie noch immer aus, mit den langen schwarzen Haaren und dem Dolch den die meisten tragen. Es sind die Cowboys Tibets. Und die Stadt macht auch etwa den Eindruck einer Wild-West Stadt.
Ich habe schnell den (scheinbar) einzigen Englisch-Sprechenden der Stadt gefunden: der Besitzer einer kleines Restaurantes. Er kocht mir nicht nur das beste Yak-Steak dass ich je gegessen habe, sondern weiss auch allerhand von der Umgebung zu erzählen.
Weiter geht die Fahrt Pass-auf Pass-ab. Grasland und alpine Täler wechseln sich ab. Wenn immer möglich zelte ich direkt auf den Pässen. Da ist es zwar windiger und kälter. Aber die Abendstimmung da oben ist einfach jedesmal unbeschreiblich. Zudem habe ich hier oben den besten Kurzwellenempfang womit auch für mein Nach-Sonnenuntergang-Programm gesorgt ist.
Das Wetter hat einen eigenartigen Rhythmus angenommen. Tagsüber ist es immer wolkenlos schön und sobald ich Abends im Zelt bin regnet oder schneit es, je nach Höhe. Mir ist es recht so, besser als Umgekehrt.
Langsam aber sicher komme ich an den Rand des Tibetischen Plateau. Hier vermischen sich Han Chinesische und Tibetische Stile immer mehr miteinander. Da gibt es dann Tempel, mit einem tibetischen Gebäude welches von einem geschwungenen Ziegel-Giebeldach bedeckt ist.
Vor etwa zwei Jahren war es, als ich das erste Mal Bilder der '4 Girls Mountains' sah. Unglaubliche Bilder waren das, ich war sofort begeistert. Da musste ich unbedingt einmal hin.
Nun bin ich in der Gegend und will mir das Ganze natürlich in Natura ansehen. Das Velo kann ich gleich beim Parkeingang stehen lassen. Nach einer kurzen Umpackerei starte ich zu Fuss.
Am ersten Tag gehe ich durch eine schönes, grünes Tal bis zu einem See. Ausser grossen Yakherden ist die Gegend völlig verlassen. Über Nacht werde ich wieder einmal kräftig eingeschneit. Sieht wunderschön aus am nächsten Tag, aber die Berge sind in den Wolken und wollen sich nicht zeigen. So schnell gebe ich mich aber nicht geschlagen. Noch einmal zelte ich am Fusse eines Berges und hoffe dass er sich am nächsten Tag zeigt. Über Nacht gibt es eine weitere heftige Ladung Schnee aufs Zelt aber am Morgen danach ist es Wolkenlos. Wow und ob sich das Warten gelohnt hat. Vor meinem Zelt ragt der Mt. Siguniang (fourth girl) mit 6250m majestätisch in die Höhe.
Über einen letzten hohen Pass verlasse ich das tibetische Plateau (fürs Erste). In der Anfahrt zum Pass habe ich das Gefühl, dass ich ständig auf einer Baustelle fahre. Auf und neben der Strasse wird ständig gebaut. Ich finde heraus, dass das immer noch die Folgen des schweren Erdbebens vor einem Jahr sind.
Auf dem 4487m hohen Pass freue ich mich auf eine lange Abfahrt. Doch zu früh gefreut. Die komplette 3500m lange Abfahrt ist oben eine einzige Baustelle und unten ist die Strasse ständig von Erdrutschen verschüttet. Meine Güte, so etwas habe ich noch nie gesehen, das ganze Tal scheint verschüttet zu sein. Ein riesiger Bergsturz folgt auf den nächsten. Dass die Auswirkungen des Erdbebens noch so präsent sind, hatte ich nicht erwartet. Als ich das Haupttal erreiche wird die Strasse besser. Hier aber hat es nun öfters Dörfer. Ein unglaublicher Anblick: ganze Dörfer liegen in Trümmern. Danaben aber wird gebaut, und wie. Die Leute hier hat es wirklich sehr schwer getroffen. Doch sie scheinen ihre Hoffnung und Freudlichkeit nicht verloren zu haben. Überall wird mit unglaublichem Eifer gebaut und wo immer ich vorbei fahre winken mir alle frenetisch zu und rufen laut.
Wie ein Wasserscheuer der seinen Fuss in kaltes Wasser hält und schnell wieder zurückzieht mache ich Kehrt sobald ich auf meinem Höhenmesser sehe, dass ich unter 1000m gekommen bin. Ich will noch nicht in die Grosstadt runter, sondern gleich das nächste Tal wieder rauf fahren. Doch diesmal habe ich weniger Glück: die Strasse ist noch tief verschüttet von Erdrutschen, kein Durchkommen. In den folgenden Stunden und Tagen fahre ich nur noch mit fliegender Planung. Bei jeder Pause wird neu entschieden wie weiter.
Das Gröbste scheint vorbei zu sein, doch in dem engen Tal in dem ich bin, fahre ich noch eine ganze Weile unter gefährlich aussehenden Hängen durch. Mir wird ganz flau im Magen, ich darf gar nicht hoch sehen. So alle paar hundert Meter sitzt jeweils ein Soldat der den Hang beobachtet und dann mit einer roten oder grünen Fahne heftig wedelt, damit ich durchfahre. Dann endlich normalisiert sich die Sache auf und neben der Strasse und das russische Roulette hat ein Ende.
In den Tälern durch die ich nun fahre leben Tibeter und Qiang. Es dauert nicht lange und ich bin wieder mitten in dem, was ich an China so liebe: diese kleinen ländlichen Dörfer mit den einfachen, schönen Häuser, wo die Leute in Gruppen zusammensitzen und mit grossen Augen den fremden Velofahrer anschauen, bis einer ein etwas schräg tönendes 'Hello' ruft, worauf alle in schallendes Gelächter ausbrechen - ich eingeschlossen, wo der meiste Verkehr aus diesen kleinen knatternden Traktoren besteht auf dessen Anhänger oft 10 Leute sitzen die in lautes Gejohle ausbrechen wenn ich vorbeifahre. Unbezahlbare Momente.
Nach einem nun wirklich letzten hohen Pass geht es dann doch runter in die Ebene. Auf der Karte suche ich eine Route nach Chengdu, die nicht durch die ganz grossen Orte, aber auch nicht durch die ev. noch vom Erdbeben betroffenen Gebiete führt. Ich nehme es vorweg, es misslingt total. Schlimmer noch, ich gerate im wahrsten Sinne in Teufels Küche. Es ist auch praktisch unmöglich Informationen über den Zustand der Strassen zu erhalten, obwohl ich oft frage. Mit jedem Km den ich fahre wird die Strasse schlechter. Hier in den tieferen Lagen ist es nun neblig feucht. Die Strasse gleicht mehr und mehr einem einzigen Schlammbett. Alle paar Kilometer muss ich meinen Antrieb putzen. Dass ich überhaupt noch fahren kann ist schon fast ein kleines Wunder. Mitten im ganzen Dreck habe ich auch noch einen Platten. Dann, ich habe es schon fast erwartet, werde ich von der Armee aufgehalten, nicht weiter hier! Das Ganze noch einmal Rückwärts. Als ich endlich wieder festen Grund erreiche, ist einfach alles verschlammt, ich selbst am meisten.
Durch chinesische Grossstädte zu fahren ist nicht immer ganz einfach. Es hat zwar immer Schilder, doch in den Stadtzentren sind das blos immer irgendwelche Strassen die da drauf sind. Schilder für die nächsten Orte gibt es dann immer erst am Stadtrand.
Es gibt verschiedene Strategien da durchzufahren. Meine bevorzugte Methode (nebem dem meiden der Städte generell) ist, dass ich vorher in Google earth die Route suche und mir dann einen GPS-Track mache, dem ich dann folgen kann. So komme ich fast im Blindflug durch die kompliziertesten Städte. Noch besser in Mianyang. Hier treffe ich am Stadtrand ein paar Velofahrer, welche mich dann gleich quer durch die Stadt eskortieren und mir die richtige Ausfahrt zeigen!
Natürlich bin ich nicht ganz ohne Grund hierher runter in die Stadt gekommen. Es war nicht der Pandas wegen die es hier in Chengdu gibt (auch wenn die zugegeben wirklich lustig waren). Ich brauche ein neues Visum. Dazu fahre ich mit dem Zug für ein paar Tage nach Hongkong und wieder zurück. Leider klappt es nicht mit einem 6-Monate Visum wie erhofft (und bis vor wenigen Tagen noch möglich) aber ich kriege immerhin 3 Monate.
Wenn es etwas gibt von dem ich definitiv keine Ahnung habe, dann ist es der öffentliche Verkehr in China, brauche ich ja nie. Im Hinterkopf habe ich noch die Bilder einer Dokumentation die ich kürzlich gesehen habe über einen Bahnhof während des chinesischen Neujahrs wenn alle Chinesen unterwegs sind: das pure Chaos. Also los, erstmal die richtige Schalterhalle finden. Dort habe ich keinen Zweifel mehr, dass China das bevölkerungsreichte Land ist. Bei welchem der 30 Schalter stelle ich mich nun an? Die Leute können mir aber helfen. Während ich anstehe kann ich auf der riesigen Anzeigetafel die Schriftzeichen für Chengdu erkennen und den Zug den ich will. Auf der anderen Seite hat es eine Art Live-Ticker, wo für jeden Zug die Anzahl noch verfügbarer Tickets aufgelistet ist. Als ich den Schalter erreicht habe, ist 'meine' Zahl auf unter 10 gefallen. Mit Hilfe von ein paar Wörtern die ich mir aufgeschreiben habe, kann ich erklären was ich will. Hurra ich kriege noch ein Ticket für denselben Tag.
Das Reisen mit dem Zug war eine interessante Erfahrung und auch spannend weil man ganz andere Leute kennenlernt, aber eigentlich habe ich von der gesammten Strecke kaum etwas mitbekommen. Ich versuchte ständig die Zeit tot zu schlagen mit Lesen und Musik hören und hoffte bald anzukommen. Genau das Gegenteil als wenn ich mit dem Velo unterwegs bin, wo ich nicht in erster Linie ankommen sondern unterwegs sein will. Ich freue mich wieder aufs Velo zu sitzen wann immer ich will und auf die vielen kleinen Begegnungen und Erlebnisse entlang des Weges.
Zurück in Chengdu starte ich wieder Richtung Berge. Nach einer insgesammt 4000 Höhenmeter langen Steigung habe ich das Hochplateau wieder erreicht. Ich will als nächstes nach Derge fahren. Ob das im Moment überhaupt möglich ist, darüber habe ich in Chengdu alles Mögliche gehört. Ich werde in den folgenden Tagen immer mal wieder von der Polizei angehalten, kann aber weiterfahren.
Ich wähle mal wieder die so ziemlich indirekteste Route die ich auf der Karte ausmachen kann. Erst geht es nach Aba hoch. Hier hat es weites und saftig grünes Grasland. Viele Nomaden haben ihre schwarzen Zelte aus Yakhaar aufgestellt und lassen ihre grossen Yakherden hier weiden.
Heute zelte ich auf einer weiten Hochebene. Als es dunkel wird frischt der Wind langsam auf. Ich bin es ja gewohnt, dass es Nachts oft etwas regnet. Diesmal aber scheinen es mehr als ein paar Tropfen zu sein: ein regelrechter Sturm ist im Anzug. Der Wind bläst in einer unglaublichen Stärke. Bald vermischt sich Regen uns Schnee mit dem Wind und peitscht gegen mein Zelt. Schlafen kann ich unmöglich, es ist ein Höllenlärm im Zelt. Mir ist auch gar nicht nach Schlafen zu Mute. Der Sturm reisst in einer derart brutalen Stärke an meinem Zelt, dass ich mir ernsthafte Sorgen darum mache. Ich war ja schon öfters mit dem Zelt in einem Sturm, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Die ganze Nacht durch sitze ich mit dem Rücken zur vom Wind betroffenen Seite um so das Zelt etwas zu stützen. Als am frühen Morgen endlich der Sturm nachlässt bin ich physisch und psychisch völlig erschöpft und versuche den verpassten Schlaf noch etwas nachzuholen.
Der Sturm war leider gleich der Beginn einer Schlechtwetter-Periode. Mehrere Tage lang ist es nass und kalt. Und wenn man täglich zwischen 3500 und 4500m unterwegs ist und zeltet, dann ist das sehr nass und sehr kalt. Da macht das Ganze sofort deutlich weniger Spass... wären da nicht diese Leute. Es ist einfach unglaublich. In jedem Dorf werde ich von lachenden, neugierigen Menschen empfangen und sofort ist das Wetter nebensächlich. Wenn der alte Mann mit dem Leder gegerbten Gesicht skeptisch und amüsiert meine Radhose mustert, oder interessiert an meiner weissen Haut mit den Haaren zupft dann lacht das halbe Dorf. Und wenn ich frage wie hoch der nächste Pass ist machen alle ausholende, einschüchternde Handbewegungungen, wünschen mir aber viel Glück.
Nass und durchfroren erreiche ich Garze. Ich bin froh wieder mal eine Zimmer mit einer heissen Dusche nehmen zu können. Gerade rechtzeitig wird am nächsten Tag dann das Wetter wieder gut. Nun fahre ich entlang der Chola Mountains. Nach den vielen Niederschlägen ist alles frisch verschneit. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Doch das Beste kommt erst noch. Um nach Derge zu kommen führt die Strasse genau über diesen Gebirgszug, über den 4900m hohen Tro La. Ständig wird die Sicht frei auf neue Gletscher und Eisriesen. Dass die Beine schon lange brennen und mein Atem etwa so tönt wie der von Darth Wader ist nebensächlich, ich bin völlig fasziniert von dieser Gebirgslandschaft und fahre fast in einem Rausch hoch.
In Derge ist die wichtigste Druckerei Tibets zu Hause. In Handarbeit werden hier unzählige Schriften im Holzblock-Druckverfahren hergestellt. Über 270'000 geschnitzte Holzblöcke werden hier gelagert, das grösste Archiv Tibetischer Schriften.
So langsam verlasse ich Kham und erreiche Amdo, die nördliche Provinz Tibets. Landschaftlich ist es ein markanter Wechsel. Von den tiefen, oft bewaldeten Tälern geht es nun rauf auf die weiten Hochebenen Amdos. Während den nächsten 500km bleibe ich auf über 4200m. Das hier ist typisches Nomadenland. Es hat nur noch wenige kleine Orte, dafür viele Nomadenzelte und grosse Schaf- und Yakherden. Einfach fantastisch diese Weiten. Scheinbar endlos ziehen sich die Wiesen dahin und gehen am Horizont in rollende Hügel über. Ich kriege das Ganze in allen möglichen Variationen präsentiert: bei Sonnenschein, frisch verschneit, bei Gewitterwolken und mit Morgennebel. Jede Variante hat seinen ganz besonderen Reiz. Diese Stimmung wenn ich am Morgen früh durch diese frisch verschneiten endlosen Weiten fahre, die letzten Nebelfetzen um die Hügel ziehen und auf der Wiese ein paar einzelne Yaks grasen ist einfach magisch.
In der Umgebung von Yushu gibt es ein paar schöne Klöster und unter Anderem eine der grössten Mani-Mauern Tibets. Sie besteht aus geschätzten 2 Milliarden in Stein gehauenen Mantras!
Der heutige Zeltplatz macht auf den ersten Eindruck den eines perfekten Platzes: Eine schöne Wiese an einem kleinen Bächlein. Kaum ist es aber dunkel, hat mich der Hund der Nomaden nebenan ausfindig gemacht. Dieser bellt sich seinen Rachen heiser vor meinem Zelt. Ich versuche mir aufgrund der Stimme die Grösse des Hundes vorzustellen und beschliesse dann definitiv, dass ich nicht raus gehe. Nach einer Viertelstunde ärgere ich mich langsam, ich möchte schlafen. Da fängt es draussen an zu blitzen und donnern und kurz darauf schüttet es wie aus Kübeln. Das scheint nun auch dem Hund zuviel zu sein und er verzieht sich. Mit dem gleichmässigen Trommeln des Regens auf mein Zelt schlafe ich schnell ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, merke ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Ein Blick nach draussen genügt: Mein Zelt steht mitten im Bach! Dieser ist durch den heftigen Regen über Nacht über die Ufer getreten und nun steht mein Zelt 10cm unter Wasser! Noch halb im Schlaf und immer noch im strömenden Regen evakuiere ich das Zelt auf eine höhere Wiese und versuche was noch nicht klitschnass ist, trocken zu halten ehe ich mich noch einmal hinlege. Was war dass denn nun eben? Hätte ich nicht noch in der ganzen Hektik ein Foto vom untergehenden Zelt geschossen (!) ich würde vermutlich glauben, dass ich das nur geträumt habe.
Motorräder sind äusserst populär in Tibet. Diese Maschinen sind immer bunt verziert mit Fähnchen, Fell, langen Lederbändeln am Lenker und vielem mehr. Die Fahrer selber sind oft nicht weniger bunt und schrill angezogen. Das Tüpfchen auf dem i ist aber immer die Sonnenbrille. Aus irgend einem unerfindlichen Grund scheinen alle abgedrehten, schrillen Sonnenbrillen, die auf diesem Planeten produziert werden in Tibet zu landen! Sie sind aber oft so schräg, dass sie halt eben schon wieder gut sind.
Ich liebe diese Momente wenn sie dann mit laut aufgedrehtem Transistorradio oder noch besser selber laut singend an mir vorbei tuckern und wild gestikulierend grüssen.
Irgendwie scheine ich jedesmal wenn es über die grossen Pässe geht die schlimmsten Gewitter zu erwischen. Als ich über den Tro La zurück fuhr, geschah dies bereits in einem heftigen Schneesturm mit 15cm Schnee auf der Strassse. Nun habe ich gerade den 4830m hohen Bayan Kar La bei noch gutem Wetter erklommen. Als ich mich aber oben umdrehe, sehe ich eine rabenschwarze Gewitterfront auf mich zukommen. In den folgenden Kilometern kann ich immer gerade vor dem Gewitter her fahren. Auf der letzten Anhöhe hat es mich dann aber eingeholt. Ein heftiges Gewitter auf 4800m, wo weit unt breit der einzige Schutz mein eigenes Zelt ist, ist nun definitiv eine ernste Sache. Ich überlege ob ich das Zelt aufstellen und darin das Gewitter abwarten soll. Doch es schneit bereits derart heftig, dass eh alles nass werden würde. Also fahre ich weiter. Innerhalb von wenigen Minuten ist die Strasse schneebedeckt.
Gewitter sind ja meist eine lokale Sache und oft kann ich diesen ganz einfach davon fahren. Doch diesmal ist es nicht so einfach. Etwa 3 Stunden lang fahre ich im heftigen Schneetreiben, dann Hagel und schliesslich Regen den Pass runter, bis ich endlich voraus eine Wetterbesserung sehe. Bei einigen Häusern halte ich an und gehe schlotternd in einen kleinen Laden. Die Leute schauen mich wie immer mit grossen Augen an. "Mit diesen Hosen frierst Du doch, Du brauchst sowas!" will mir ein Mann weis machen und zeigt auf seinen typischen Mantel aus Schafshaut. Keine Frage, diese Dinger geben auf jeden Fall warm. "Aber Velofahren kann ich doch damit nicht!" antworte ich lachend. Aber wer weiss, wenn ich noch oft durch solche Gewitter fahren muss, lege ich mir vielleicht doch noch so einen zu.
Der Amnye Machen ist der wichtigste Pilgerberg Ost-Tibets. Was der Kailash für West-Tibet ist, ist der Amnye Machen für Ost-Tibet. Für mich war er immer ein Fixpunkt dieser Reise, den ich unbedingt erreichen wollte.
Schon die Anfahrt zum Berg ist spektakulär. Es geht einer tollen Bergkette entlang und durch weite Täler mit vielen Nomaden. Wie für einen Pilgerort üblich, muss man auch etwas dafür tun, ihn zu Gesicht zu bekommen. Der Berg versteckt sich gut hinter anderen Gebirgszügen und ich muss über einige hohe Pässe, ehe ich ihn überhaupt erstmals sehe. Dann aber habe ich ihn in voller Pracht vor mir. Ich schlage gleich an Ort und Stelle das Zelt auf und geniesse die Sicht auf den Berg in der Abend- und Morgen-Stimmung.
In China wird ja ständig und überall gebaut, das habe ich schon geschrieben. Das gilt besonders auch für Strassen. Die Chinesen habe eine ganz eigene Art Strassen zu bauen. Am auffälligsten ist vor allem, dass nicht etwa in Etappen gebaut wird, sondern immer auf der ganzen Strasse gleichzeitig, Arbeiter gibt es ja genug. Das hat zur Folge, das Baustellen hier nicht einfach ein paar Kilometer lang sind, sondern oft z.B. 100km.
Auf der Fahrt nach Xining habe ich aber den Jackpot gezogen: ganze 500km lang ist hier die Baustelle und ich holpere um Baumaschinen und halbfertige Brücken. Immerhin habe ich auf dieser Strecke ein tolles Publikum das mich anfeuert. Niemand ist so begeistert wenn ich vorbeifahre wie die Strassenarbeiter!
Xining liegt am nördlichen Ende des Tibetischen Plateaus. Der Ort bildet aber auch eines der Enden der Seidenstrasse. Das gibt der Stadt einen einzigartig exotischen touch. Hier treffen Tibeter aus dem Süden, Uyghuren aus dem Westen und Mongolen aus dem Norden zusammen.
Auf der weiteren Fahrt nach Westen fahre ich danach am nördlichen Rand des Tibetischen Plateaus entlang. Am dritten Tag schreibe ich in mein Tagebuch: "Hier gibt es vor allem Nichts, davon aber im Überfluss!" Es ist eine Art Halbwüste durch die ich fahre. Meist sandig mit wenigen Büschen flankiert von kahlen, rot leuchtenden Bergketten auf einer Höhe von 3000 bis 3800m. Orte hat es nur noch wenige und wenn, dann sind es eigenartige, aus dem Nichts gestampfte 'Oasen', gebaut um Leute hier anzusiedeln.
Nomaden hat es bald auch keine mehr, dafür ist es zu karg. Anstatt der Yaks tauchen bald die ersten Kamele auf.
Über einen letzten Pass überquere ich das Altun Gebirge. Nun geht es runter. Vor oder besser unter mir liegt die Taklamakan Wüste, eine der grössten Sandwüsten. Etwa im gleichen Tempo wie ich an Höhe verliere, steigt die Temperatur an. Meine Güte, wer hat da das Heissluftgebläse eingeschalten? Temperaturen von 40°C sind immer unangenehm, aber wenn man vor wenigen Stunden noch in Handschuhen und Mütze über einen windigen Pass gefahren ist, dann fühlt sich das an, als ob man geradewegs in einen Backofen rein fährt. Durch Wüsten zu fahren ist oft Landschaftlich eintönig. Hier aber fahre ich gleich zu Beginn durch ein tolles Tal welches von mehreren hundert Meter hohen Sanddünen flankiert wird.
Dann erreiche ich Dunhuang, einst eine wichtige Station auf der Seidenstrasse. Reiche Händler sponserten hier den Bau unzähliger Grotten in der Hoffnung auf eine sichere Reise welche heute einer der bedeutensten Orte Buddhistischer Kunst bilden.
Ich verlasse die grüne Oase von Dunhuang und bin bald wieder draussen in der sandigen Wüste. Wie immer wenn es heiss ist, wird es ein langer Tag, weil ich nicht schon zu früh in der Hitze das Zelt aufstellen will. Als ich mich nach einem Platz umzusehen beginne, sehe ich plötzlich Wasser am Horizont. Ich bin mir erst nicht sicher, ob mir meine Sinne nicht einen Streich spielen nach 8 Stunden Fahrt bei 40°C. Doch tatsächlich es ist ein Reservoir, ein Stausee mitten in der Wüste. Ich fahre natürlich sofort hin und versuche meine Erwartungen etwas zu dämpfen: da hat es bestimmt tonnenweise Moskitos, oder das Wasser ist schmutzig und stinkt, alles schon zur Genüge erlebt. Doch nichts davon, ein wunderschöner See. Ich schmeisse das Velo hin und renne gleich so wie ich bin rein. Ist das genial! Eine 500m lange Badewanne mitten in der Wüste für mich alleine!
Im Radio höre ich von den Unruhen in Ürümqi. Die chinesische Regierung hat die Ursachen sofort in "militanten muslimischen Gruppen, welche von der 'el Kaida' unterstützt werden" erkannt. Dass es sich dabei um Minderheiten handelt, welche sich in ihrer angestammten Heimat von den immer zahlreicheren Han-Chinesen verdrängt und benschteiligt fühlt will niemand hören. Es sind die gleichen Probleme wie in Tibet oder der Inneren Mongolei. China investiert zwar viel Geld in diesen Regionen in Infrastruktur, Schulen und Gesundheitswesen und wird auch nie Müde das zu betonen und kann nicht verstehen, dass diese Leute nicht zutiefst dankbar sind.
Ob diese Leute das überhaupt wollen, wird nie gefragt, es führt aber immer zum selben Effekt: der immer zahlreicheren Migration von Han-Chinesen in diese Gebiete welche die Einheimischen dann zu einer Minderheit werden lassen.
Wie weiter? Das war die grosse Frage, die mich in den letzten Wochen beschäftigt hat. Eigentlich hatte ich ja geplant, die nächsten Monate in Zentral-und West-Tibet zu verbringen. Doch seit den Unruhen in Lhasa im April vor einem Jahr ist es praktisch unmöglich geworden hier individuell zu reisen. Die wennigen Polizei-Checkpoints die früher einfach zu umgehen waren, sind ersetzt worden durch eine massive Armee-Presenz. In den 2 Tagen als ich auf der Strasse 109 fahre (die Strasse welche ab Golmud nach Süden Richtung Lhasa weitergeht) treffe ich etwa 12 Velofahrer, mehr als in den restlichen 4 Monaten in China. Es sind alles Chinesen und ich frage schon bald nicht mehr, wohin zu fahren, alle haben Lhasa als Ziel. Ja, ja die Welt ist ungerecht, sie dürfen im Gegensatz zu mir dahin fahren.
Naja, ich bin froh, dass es mit Ost-Tibet geklappt hat und aufgeschoben ist nicht aufgehoben... Wie aber geht es nun weiter? Da lasse ich euch noch etwas raten. Vorerst mal nur soviel: es geht weiter!