An der Grenze zum Iran herrscht ein Andrang wie beim Sommer-Schlussverkauf. Dank meines Exoten-Status bekomme ich eine Sonderbehandlung und bin so in Kürze durch. Den erstbesten Mann frage ich nach dem Weg zur nächsten Stadt. Dieser fährt mir gleich mit dem Wagen voraus, quer durch die ganze Stadt bis zur Hauptstrasse und erklärt mir dort im Detail (in Farsi...) gleich die Route bis Esfahan (dort werde ich etwa in 2 Wochen sein). Da kann ja nichts mehr schief gehen...
Während meiner ersten Km auf iranischen Strassen beginne ich mit Hilfe der Temposchilder die arabischen Zahlen zu lernen. Als ich am Abend mit dieser neuen Kenntnis meinen Einreisestempel entziffere, staune ich nicht schlecht: 6.2.1384! Hier rechnet man mit dem persischen Kalender...
Nach 20km im Iran wurde ich bereits zum Tee eingeladen, habe mehrmals für Fotos posiert und Unterschriften gegeben, habe eine Übernachtungs-Einladung und habe einen Anhänger geschenkt gekriegt! Ich bin völlig Überwältigt. Die Strassen hier sind in einem fantastischen Zustand. Allerdings hat es auch sehr viel Verkehr. Kein Wunder, in einem Land wo der Sprit 10x billiger ist als Cola! Zudem sind die Strassen hier definitiv gesetzlose Zonen. Jeder fährt wo und wie er will. Lichtsignale werden nie beachtet. Hier muss man einfach mit absolut allem rechnen z.B auch mit Gegenverkehr auf dem 'Pannenstreifen'. Ein Rückspiegel ist hier nicht praktisch, sondern lebensnotwendig um zu sehen, wenn wieder ein Bus oder Truck mit lautem Gehupe angedonnert kommt und ich von der Strasse flüchten muss.
Von den Ufern des Kaspischen Meeres, wo es viele Reisfelder hat, klettert die Strasse nun rauf auf 1500m. Irgendwie hatte ich erwartet, dass es hier in Iran nun immer heiss und trocken sein wird. Dementsprechend überrascht bin ich, als ich auf dem Weg nach Hamadan von einem Gewitter ins nächste fahre und schliesslich noch eine Packung Hagel obendrauf kriege! Entlang den Zardkouh Bergen fahre ich in einem grossen Bogen Richtung Esfahan. Hier bin ich auf Höhen zwischen 1500 und 2400m. Die Temperaturen sind genau richtig zum Velofahren. In den Tälern hat es viele grün und gelb leuchtende Felder und am Rand herrliche Berge. Besonders der 4070m hohe Mt. Oshturan sieht toll aus.
In den Städten werde ich erstaunlich oft von Leuten angesprochen, die recht gut Englisch sprechen (natürlich auch auch genügend, wo es nicht über ein "Hello Mister" hinausgeht), in Qazvin sogar von einer Frau. Leila lädt mich zu ihrer Familie nach Hause ein. Wir verbringen zusammen mit ihren Geschwistern einen interessanten Abend. "Im Westen denken sie, dass wir alles Terroristen sind, nicht?" ist eine beliebte Frage...
Auf den Strassen hat es viele Motorradfahrer. Tauchen sie auf, ist das immer ein sicheres Zeichen, dass ich mit einem Ort nähere. Während der Fahrt fahren sie neben mir her und stellen ein paar neugierige Fragen, bis ich mit meinem Farsi nichts mehr verstehe. Kaum ist einer weg, fährt schon der nächste ran. So geht das, bis ich den Ort wieder verlassen habe. Den Vogel aber schiesst die Polizei ab, die mir nachfährt. Ich bemerke sie erst, als sie über den Lautsprecher "Hello, Hello - country?" rufen. "ßuiß" brülle ich bei Tempo 30 zurück, worauf sie verzückt gleich das Blaulicht einschalten!
Esfahan nesf-e jahan - Esfahan ist die halbe Welt
Es gibt so Orte, bei denen man beim blossen Aussprechen des Namens bereits Bilder vor Augen hat und ins Schwärmen gerät. Esfahan ist für mich so ein Ort. Esfahan, die Perle Persiens; die Stadt mit den vielen Moscheen, dem Basar und den schönen Brücken. Entsprechend freue ich mich, den Ort zu erreichen. Ich werde nicht enttäuscht. Die grossen Kuppeln der Moscheen, welche mit prächtigem Mosaik geschmückt sind, glitzern in der Sonne wie gigantische Faberge Eier. Die schlichte, elegante Architektur der Emam Moschee mit ihrem unglaublich detailreichen Kachel-Mosaik welches aus Kalligraphie, Blumen- und geometrischen Mustern besteht, ist schlicht atemberaubend.
Der riesige Basar ist ein einziges überdachtes Labyrinth. Durch geschickte Öffnungen in der Decke ist es überall angenehm kühl und hell. In den unzähligen Läden gibt es einfach alles zu kaufen. Auch viele Handwerker sind hier zu Hause: Textildrucker, Teppich Knüpfer, Schmiede, Maler... Dazwischen hat es Teehäuser, grüne Gärten und Moscheen. Bei Sonnenuntergang mit einem Softeis am Flussufer entlang zu schlendern ist Die Abend Beschäftigung der Iraner. Ich schliesse mich den tausenden von Leuten an.
Von Esfahan fahre ich durch das Zagros Gebirge Richtung Süden, nach Shiraz. Es sind meist trockene, karge Hochebenen über die ich fahre, welche mich mit ihrem Büschelgras ans Altiplano erinnern. Meine Abendunterhaltung, wenn ich entlang der Strecke zelte, ist neben lesen, schreiben und dem 'Studium' des Sternenhimmels mein Radio. Fast jeden Abend höre ich BBC und kriege so leider die schlimmen Ereignisse in Usbekistan mit. In etwa 4 Wochen plane ich dort zu sein (allerdings will ich nicht ins Fergana Tal, wo die Unruhen waren). Ich werde die Situation natürlich beobachten und hoffe, dass sich die Lage beruhigt.
Persische Gastfreundschaft
Auf der Strasse werde ich immer wieder von Leuten angehalten. Ich werde mit kühlen Getränken, Früchten etc. beschenkt. Manchmal ist es mir fast schon peinlich. Doch die Leute freuen sich einfach mir helfen zu können.
Als ich in einem grösseren Ort mal wieder nach einer Unterkunft frage, meint der Man, dass es hier kein gutes Hotel gebe nur billige Unterkünfte. Genau das suche ich ja, worauf er mir den Weg erklärt. Doch 500m später holt er mich wieder ein und meint, ich solle zu ihm nach Hause kommen. Hamid ist Englisch Lehrer und mir sofort sympathisch. Ich sage gerne zu und werde danach von seiner Familie nach allen Regeln der Kunst verwöhnt. Beim Nachtessen (gegessen wird auf dem Boden) amüsieren sich alle, dass ich unmöglich länger als 15 min im Schneidersitz essen kann...
Vor Shiraz besuche ich die 2500 Jahre alten Ruinen von Persepolis; die Wiege der persischen Kultur. Vor allem die sehr gut erhaltenen Reliefs sind toll. Die letzten Km vor Shiraz kriege ich schon mal einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen: Die Sonne brennt gnadenlos und die Temperaturen sind bereits in den oberen 30er Werten.
Shiraz ist die Stadt der grossen persischen Poeten und der grünen Parks. Nichts tun die Iraner lieber, als Freitag Abend ein Picknick mit Kind und Kegel in diesen grünen Anlagen. Mohammed lädt mich zu einem solchen Picknick mit seiner Familie ein. Später tauschen wir Musik aus. Wer weiss, vielleicht werden Züri West und Stephan Eicher bald auch im Iran populär...
Von Shiraz fahre ich über eine z.T. nicht asphaltierte Nebenstrasse an den Bakhtegan See. Am Ufer zelte ich und bewundere die tausenden von Flamingos - ein Traum.
"Tell all the Europeans and Americans, that we like them"
Etwas weiter fahre ich wieder einmal durch eines dieser kleinen Dörfer. Majid lädt mich zu sich mach Hause ein. Er und seine Familie sind so nett, dass ich gerne die Nacht hier verbringe. Am nächsten Morgen platzen meine Taschen fast aus allen Nähten. 5 Kg Aprikosen und Äpfel aus dem eigenen Garten kriege ich mit auf den Weg. Wenn es nach Majid gegangen wäre, wären es 20Kg gewesen... Als ich mich verabschiede ruft er mir hinterher:"Tell all the Europeans and Americans, that we like them!"
Die Landschaft wird dominiert von unzähligen Feigenbäumen. Sie kommen mit dem wenigen Regen, der im Winter fällt aus und brauchen den ganzen Sommer über kein Wasser. Die Früchte sind etwas kleiner als jene, die wir bei uns zu Hause meistens kriegen, aber süsser. Diese getrockneten 'Energiebomben' sind sie seit langem mein absoluter Favorit. Nie verlasse ich eine Stadt ohne mindestens ein halbes Kilo davon in meinen Taschen.
Ab durch die Wüste
In Kerman mache ich ein paar Tage Pause und fülle meine Vorräte wieder auf. Die vor mir liegende Strecke sieht schon auf der Karte beeindruckend aus: 900km quer durch die Wüste nach Mashad! Bevor es durch die Wüste geht, überquere ich aber noch ein karges, ja nacktes Gebirge, die Payeh Berge. Dann führt die Strasse raus aus den Bergen und die rot leuchtenden Hügel entlang der Strasse werden weniger hoch.
Plötzlich öffnet sich die Landschaft vor mir. Ich halte an um den Moment auf mich wirken zu lassen. Vor mir liegt eine scheinbar endlose Ebene. Die Augen haben Mühe, in der flimmernden Hitze einen Horizont auszumachen. Doch was ich hier sehe ist bloss ein kleiner Bruchteil der Dasht-e Lut...
Meine mit Wasser gefüllten Pet-Flaschen sehen lächerlich klein aus im Angesicht dieser gigantischen Trockenheit und der brutalen Temperaturen. Werden sie reichen? Natürlich weiss ich, dass ich genügend Wasser dabei habe, Ich habe genügend Reserven eingerechnet. Doch das ist die Theorie...
Auf 8-10 Liter Wasser steigt mein Verbrauch an. Zwischen 8:00 Morgens und 20:00 Abends ist 12 Stunden lang Brutofen angesagt. Ich messe 45°C im Schatten! Am Besten lässt sich die Hitze noch bei der Fahrt aushalten, dank dem Fahrtwind. Pausen werden schnell unangenehm, da es zu heiss wird. Doch ich kann nicht 12 Stunden fahren! Optimal wäre natürlich eine mehrstündige Pause über Mittag, doch das schattige Plätzchen dazu suche ich vorerst vergebens.
Doch dann finde ich genau das. Wie aus heiterem Himmel treffe ich mehrmals mitten in der Wüste auf eine Art Open-Air Moschee - ein kleines Gebäude mit einer überdachten, schattigen Plattform daneben, wo ich jeweils ein paar Stunden Schutz vor der Sonne finde.
Die Hilfsbereitschaft der Iraner ist wieder unglaublich. Immer wieder kriege ich Früchte und Getränke von vorbeifahrenden Autos geschenkt. Der Hammer ist aber eine tiefgefrorene Wasserflasche, die ich plötzlich in der Hand halte. Nach einer halben Stunde ist der Effekt vom kühlem Wasser allerdings vorbei und ich greife wieder zu meinen eigenen Wasserflaschen, deren Temperatur gegen Nachmittag regelmässig auf über 30°C ansteigt... War das eben Realität oder hab ich das bloss geträumt...?
Als ich nach 6 Tagen Ferdows, eine kleine Stadt am Rande der Wüste, erreiche, sind meine Kleider brechend hart, vom ausgeschwitzten Salz. Ich geniesse die Dusche ungemein, obwohl der Besitzer zuerst meint, ich müsse eine halbe Stunde warten bis es heisses Wasser gäbe. Als ob ich das jetzt brauche...
Natürlich gibt es auch Momente, in denen die ständige Neugier der Iraner nervt. Heute ist so ein Tag. Seit geschlagenen 7 Stunden mühe ich mich auf dem Velo gegen einen brutalen Gegenwind ab und komme nicht vom Fleck. Ich bin schlecht gelaunt und gereizt. Wenn dann noch alle paar 100 Meter ein Motorradfahrer kommt und mich ausfragt, bin ich nicht in der Stimmung dauernd Auskunft zu geben. Doch dann hält ein Auto vor mir an. Ein alter Mann steigt aus. Ehe ich reagieren kann, hat er mich umarmt und abgeküsst als ob er seinen seit langem vermissten Sohn wiedergefunden hätte! Was ich brauche? Wasser, Brot, Früchte? Nein, danke, ich habe doch alles und bis zur nächsten Stadt ist es doch auch nicht mehr weit. Er lässt aber nicht locker und schliesslich nehme ich dankend ein paar Früchte.
Punktlandung in Mashhad
Seit ich das Turkmenistan Visa habe (also seit Ankara), weiss ich ja genau an welchem Tag ich dort einreisen darf. Fast auf den geplanten Tag genau treffe ich 6600km nach Ankara in Mashhad ein - Punktlandung! Von hier sind es noch 200km bis zur Grenze.
Mashhad ist die heiligste Stadt des Iran und ein wichtiger Pilgerort für Shiiten. Den riesigen Komplex rund um den Schrein des Emam Reza darf ich als Nicht-Muslim zwar nur teilweise betreten. Es ist aber auch so beeindruckend.