Es ist immer wieder spannend in ein neues Land zu kommen. Vieles ist wieder neu, oder anders: die Leute, die Produkte in den Läden, die Infrastruktur... Das erste das ich in Kasachstan lerne ist: Wenn hier auf der Karte nichts eingezeichnet ist, dann ist da auch wirklich nichts, gar nichts! Unglaublich diese Weite, dieser Platz hier. Kasachstan ist das neuntgrösste Land und gerade mal 15Mio leben hier.
Der Anteil der Leute mit russischer Abstammung hat markant zugenommen. Schon komisch, da fahre ich in Almaty ein - eine Stadt mitten in Asien, unweit der chinesischen Grenze - aber hier sieht es aus als ob ich in Osteuropa wäre! Kasachstan geht es von allen 'stans wirtschaftlich am Besten - dank dem Oel. Unschwierig festzustellen in Almaty: Auf den Strassen hat es viele protzige Limousinen und Gelädewagen und das Preisniveau ist auch schon fast europäisch.
Die Stadt ist angehem grün und liegt in unmittelbarer Nähe einer tollen Bergkette. Da steuere ich dann natürlich auch sogleich hin.
Zum Almatinskoe See der grad südlich der Stadt liegt will ich fahren. Da habe ich mir ja wieder was schönes ausgesucht: Eine anspruchsvolle Piste schraubt sicht hier in die Höhe. Vorbei am See und einem Observatorium bis hinauf zum Zhusalykezen Pass auf 3336m. Es ist Sonntag und es hat tatsächlich ein paar Mountain Biker unterwegs die das gleiche Ziel haben. Zusammen fahren wir einen Teil der Strecke hoch: sie mit ihren Carbon-Flitzern und ich mit meinem Panzer...
Oben auf dem Pass geniesse ich eine tolle Sicht in die vergletscherten Berge. Es hat hier oben eine Forschungsstation. Gespenstisch bizarr das Ganze: verlotterte Häuser, ein brummender Trafo in einem Schuppen, rostige Antennen und sonstiger Schrott aus Soviet-Zeiten und irgendwo einer der einen alten Bulldozer flickt.
Früher oder später muss ich nun nach Norden, raus in die Steppe. Ich schiebe das aber immer wieder etwas heraus und bleibe lieber noch hier in den Bergen von Almaty.
Dann aber geht es los. Die Distanzen die sich da vor mir auf der Karte präsentieren sind schon beeindruckend. Die Temperaturen erreichen teilweise bereits unangenehm hohe Werte. Ich passe meine Wasserreserven entsprechend an. Zuerst fahre ich nach Osten in die Nähe der chinesischen Grenze. Hier hat der Fluss einen schönen Canyon aus dem roten Felsen gefressen. Ich fahre ganz runter wo ich direkt am Wasser im angenehmen Schatten zelten kann.
Und dann kommt da diese Steigung. 800m geht es hoch. Ok das mache ich am Morgen, dann kann ich am Nachmittag noch zum Pass hochfahren, denke ich am Tag vorher als ich die Karte studiere.
Als ich am nächsten Tag am Nachmittag die Steigung hinter mir habe, muss ich um Jahre gealtert aussehen. Ich bin völlig am Anschlag und ausgepumpt. Unten in der Ebene beim Start der Steigung zeigt mein Thermometer 40°C im Schatten an. Diese Steigung ist eine der schlimmsten die ich bisher gefahren bin. Die Hitze ist unglaublich brutal. Ich schütte literweise Wasser in mich hinein, komme mir aber vor wie ein Sieb: das Wasser scheint am ganzen Körper direkt wieder rauszufliessen.
Ich kenne dieses Problem leider nur zu gut: Wenn es so heiss ist kann ich einfach nicht genug essen um ausreichend Energie zu haben und so fahre ich dann ständig mit fast leeren Batterien. 2 Tage brauche ich danach um mich wieder zu erholen.
Bisher gefällt es mir hier in Kasachstan sehr gut. Es ist nicht das Land der ganz spektakulären Sehenswürdigkeiten, das ist schon klar. Die Leute sind etwas zurückhaltend und ausgesprochen freundlich. Als Tourist ist man hier noch eine echte Attraktion! Zudem bin ich beeindruckt wie problemlos und durchmischt hier die Kasachen und Russen (obwohl doch eigentlich sehr unterschiedlich) zusammenleben.
Nun wird es aber richtig flach. Kurz nachdem ich Taldyqorghan verlasse geht es noch über einen kleinen Hügel und dann runter in die grosse Ebene. Der Blick runter ist eindrücklich: topfeben in allen Richtungen bis zum Horizont. Wie immer wenn es flach ist, ist einer nicht weit: der Wind! Es ist nicht eine Frage ob er bläst oder nicht, sondern wie stark und vor allem in welche Richtung.
Ich habe mal wieder einen kleinen Ort passiert. Wie immer habe ich Wasser und Vorräte aufgefüllt. Doch nur wenige Km hinter dem Ort endet der Asphalt auf einer kleinen Anhöhe abrupt. Hoppla, damit habe ich nun gar nicht gerechnet. Auch auf der Karte war kein Anzeichen dafür. Ich muss erstmal anhalten und die Lage beurteilen. 100km sind es bis zum nächsten Ort und ich habe 15 Liter Wasser dabei. Vor mir sehe ich eine sehr ruppige Piste die, einer Bahnlinie folgend, durch die trockene Ebene führt und am flimmernden Horizont verschwindet (Bild links). Oder soll ich doch besser den etwas weiteren Umweg nehmen? Nein, ich versuche es. Zwei Tage lang holpere ich im Schrittempo über das endlose Wellblech, doch dann verliert sich die bisher gut sichtbare Piste auf einmal in viele einzelne, sandige Spuren.
2 Stunden lang schiebe ich das Velo durch den weichen Sand auf der Suche wo es denn weiter gehen könnte. Ich finde nichts. Verzweifelt gebe ich auf, auch wenn laut GPS nur 20km fehlen bis zum Ort! Kurz vorher hatte es einen einsamen Bahnhof. Dorthin gehe ich zurück und es hat tatsächlich ein paar Leute dort. Wie immer muss ich natürlich erstmal erzählen, was ich denn da mache. Ja und wohin ich denn will? Ich erkläre dass ich die Strasse nicht mehr finden kann und desshalb zurück will. Da zeigen die Leute auf einen kleinen unscheinbaren Feldweg: dem musst Du folgen, dann bist du in 20km am Ziel! Dass sandige Wege nicht so toll sind mit dem Velo konnten sie nicht wissen, aber der Ort taucht bald am Horizont auf. Ich steure wie immer direkt auf die Hauptattraktion dieser kleinen Orte zu: den Kühlschrank im kleinen Laden an der Ecke!
Es ist immer noch sehr heiss zum fahren. Meist so knapp 40 Grad im Schatten. Ich habe mich aber daran gewöhnt (so gut das überhaupt geht) und mit dem Wind ist es erträglich. Viel mehr Probleme macht mir dann schon die Tatsache, dass diese Temperaturen von Morgens 7 bis Abends um 20 Uhr herrschen! Ich kann unmöglich vor 18 Uhr das Zelt aufstellen. Es ist viel zu heiss! Aber ich kann auch nicht 12 Stunden velofahren und es gibt Tage an denen treffe ich den ganzen Tag keinen Flecken Schatten...
Ja die Dimensionen hier sind schon einzigartig. Ihr kennt sie alle diese Bilder, wo die einsame Strasse am weiten Horizont verschwindet. Das sieht dann immer so endlos weit aus. Endlos? Bei idealen Verhältnissen reicht so ein Blick vielleicht gerade mal lächerliche 30km weit. Ich fahre hier aber hunderte von Kilometern durch diese Ebenen. Bilder können diese Weite ganz einfach nicht mehr einfangen.
Laut Karte soll ich heute an einem See vorbeikommen. Ich freue mich auf die Abwechslung. Doch kurz vor dem See geht es los: Es hat hier diese grossen Bremsen und die haben genau auf einen schwitzenden Velofahrer gewartet! Ich werde von ganzen Horden verfolgt. Es muss ein sehr origineller Anblick sein, wie ich da wild um mich fuchtelnd, Schlangenlinien fahrend fast eine Stunde lang das Schlimmste zu verhindern versuche.
Dieses grosse Nichts hier hat leider andere schon zu ganz üblen Ideen inspiriert: In der Gegend um Semey wurden während des kalten Krieges über 400 Atombomben getestet... Keine Angst, ich umfahre das Gelände grossräumig.
Mit jedem zusätzlichen Breitengrad welches ich nördlicher komme, werden die Temperaturen aber wieder angenehmer. Auch die Landschaft wird immer grüner und es sind wieder Konturen auszumachen am Horizont.
Nach 1200km Fahrt durch die Steppe erreiche ich Semey im Nordosten von Kasachstan.